Das Weihnachtswetter wird nicht so sein wie man es sich erträumt: es wird wieder Sturm geben, wenn die Prognosen sich bestätigen. Zwei schwere Stürme hat es bereits gegeben, in Hamburg gab es eine Sturmflut, die zu höheren Pegelständen auflief als 1962, als die Dämme brachen. Die Schäden dieser Stürme in Europa blieben überschaubar, im Gegensatz zu den Folgen des verheerenden Taifuns der die Phillipinen heimgesucht hat, und der inzwischen die Schlagzeilen lange wieder verlassen hat.
Auch die Ökonomie macht große Sorgen: seit einigen Wochen berherrscht eine Rede von Larry Summers die Diskussion der Ökonomen. Larry Summers ist ein bedeutender Ökonom: er war Wirtschaftsminister unter Bill Clinton, und ist nun Professor für Wirtschaftswissenschaften in Harvard. In dieser Rede hat Summers die Vermutung geäußert, dass die Weltwirtschaft aufgrund eines weltweiten Überhangs an Ersparnissen in eine möglicherweise sehr langdauernde Stagnationsphase eingemündet sei, und dass die Wirtschaft möglicherweise auch – jenseits einer solchen Phase – nie mehr zu einem Verhalten zurückkehren könnte, das Politik und Wissenschaft eigentlich von ihr erwarten.
Zu den Ursachen dieser Entwicklung äußert Summers sich kaum. Wie kann es zu einem derartig hohen und andauernden Überschuss an Ersparnissen kommen? Warum wird das Geld nicht ausgegeben? Es ist eigentlich aus den verfügbaren Daten leicht ablesbar, dass diese Ersparnisse nicht gleichmässig verteilt über die Schichten der Einkommensbezieher der Ökonomien sich gebildet haben, sondern hauptsächlich in den Schichten der Bezieher von Einkünften aus Kapitalbesitz, dass sie also aus Unternehmensgewinnen, Kapitalerträgen und sehr hohen Einkommen entstanden sind. Es ist seit Keynes bekannt, dass diese Schichten eine überproportional hohe Sparneigung haben: das eingenommene Geld wird also nur zu einem Teil konsumtiv verwendet, der Rest wird gespart, oder aber – etwa durch Kauf von „Finanzprodukten“ – in dem Sinne investiv verwendet, also um das vorhandene Geld einfach noch weiter zu vermehren. Aber eben nicht so, dass es realwirtschaftlich spürbar würde, und so dann eben auch Nachfrage nach Investitionen, und in einem weiteren Schritt auch nach Beschäftigung nach sich ziehen würde.
Es melden sich durchaus Ökonomen zu Wort, die diesen Zusammenhang erkennen und ihn beim Namen nennen, so z. B. der deutsche Ökonom Peter Bofinger, immerhin Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Es seien die Löhne eben seit zwei Jahrzehnten nicht mehr im Maß des Produktivitätsfortschritts gestiegen, also hinter dem Verteilungsspielraum zurückgeblieben, der mit dem Produktivitätsanstieg eigentlich gegeben ist. Und dies im Grunde fast in allen Industrienationen der Welt, mit nur geringen nationalen Unterschieden.
Sinnvoll und notwendig wäre also ein kräftiger Anstieg der Löhne, woraus sich über die Erwartung einer stärkeren Konsumnachfrage ein Anstieg der Investitionen, und dann ja auch die stärkere Konsumnachfrage ergeben werde.
Da gibt es aber zwei Probleme: 1. dürfte es schwer fallen, in einer Phase hoher Arbeitslosigkeit hohe Lohnforderungen durchzusetzen. Und 2.: wird die ohnehin schon arg strapazierte Ökologie ein weiteres, über Jahre andauerndes exponentielles Wachstum unmöglich verkraften. Da gibt es eigentlich auch recht breite Übereinstimmung unter den Fachleuten. Aber im Grunde wird diese Frage auch gar nicht heiß diskutiert: es gibt eigentlich so recht gar nichts zu entscheiden. Es passiert alles was passiert eigentlich nur, weil niemand weiß, was denn Besseres in diesem Moment geschehen könnte. Man schlängelt sich eben so durch die Mitte.
Es gibt einen grundsätzlichen Konflikt bei allen politischen Entscheidungsträgern: es gibt sozusagen immer eine kurzfristige betriebswirtschaftliche Sicht, und eine langfristige globale oder auch universal-interessierte Sicht. Aus nationaler, „betriebswirtschaftlicher“ Sicht befindet sich jede Volkswirtschaft im Wettbewerb mit allen anderen, und es gilt, durch günstige Investitionsbedingungen wie niedrige Löhne und niedrige Steuern und sonstige Anreize die Investoren anzulocken. Aus der nationalen, egoistischen und „betriebswirtschaftlichen“ Perspektive ist man dann gezwungen, die Dinge zu tun und zu entscheiden, die aus globaler, langfristiger Sicht dramatisch falsch sind. Beispielsweise haben sich auf dem letzten Klimagipfel die Interessen der deutschen Automobilindustrie – vertreten durch die Autokanzlerin Merkel – gegen die langfristigen Klimaziele der Weltbevölkerung durchgesetzt. Das Interesse, in den nächsten drei Monaten eine Million Euro einzunehmen, ist offenbar wesentlich handlungsbestimmender und stärker, als in 20 Jahren den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen begrenzt zu haben.
Dazu kommt ja auch immer: es geht ja auch für tausende und abertausende Menschen und Familien um die Existenz, den Arbeitsplatz.
In dieser Lage wäre eine starke, mit weitreichenden Vollmachten und weitreichendem Verstand ausgestattete Regierung gefragt, die die moralische Größe und Festigkeit besitzt, die wohlverstandenen Interessen der Allgemeinheit zu vertreten und durchzusetzen – aber die Allgemeinheit ist die der ganzen Welt! Die Unternehmen bevölkern sozusagen die Welt und bewegen sich hier schnell und der kurzfristigen Interessenlage entsprechend, das „Fußvolk“, die Beschäftigten der Unternehmen und die nationalen Regierungen sind aber festgebunden an ihren jeweiligen Standort. Theoretisch könnte eine supranationale Regierung auf dem Wege demokratischer Willensbildung zustande kommen – daran ist in der Gegenwart von NSA und Kampf um Zugang zu Rohstoffvorkommen offensichtlich nicht zu denken.
Das Dilemma zwischen Wachstumszwang und ökologisch gefordertem Wachstumsverzicht bzw. Stagnation stammt ja aus der immer weiter gehenden technologisch gesteigerten Leistungsfähigkeit der Arbeit. Bisher ist man immer davon ausgegangen, dass die sich nur in der Dimension Produktivitätsfortschritt bewegen werde. Seit etwa zwei Jahrzehnten ist aber die Entwicklungsdimension Flexibilität hinzugetreten, d. h. also nicht eine Maschine (oder Fabrik) für immer mehr vom Gleichen, sondern: eine Maschine (oder Fabrik) für immer mehr Unterschiedliches. Diese Entwicklung ist gewissermaßen entstanden in Reaktion auf die sich abzeichnende Nachfrageschwäche am Konsumgütermarkt.
Diese Entwicklung hat nun zu allerhand Erscheinungen in der Industrie geführt, zu „Open Innovation“ und „Open Source“ und „Open Design“ und dem Opel Adam und dem Fiat 500. Es gibt auch vollkommen frei gestaltbare Sportschuhe bei Nike. Am MIT, wo auch der Professor Larry Summer gelernt und gelehrt hat, ist die Entstehung der Wissenschaft der Digitalen Fabrikation ausgerufen worden. Diese Wissenschaft soll die Produktivität und die Flexibilität von Fabrikationsmaschinen auf die Spitze treiben: sie sollen eines Tages – grad wie ein Star-Trek-Replicator – alles und jedes auf Knopfdruck herstellen können, in kurzer Zeit und schnell und billig, und bei jedem Menschen daheim auf dem Küchentisch, oder im Bastelkeller. Man kann sich nicht recht vorstellen, dass diese Maschine heute die Wohnzimmerlampe produziert, die ich mir gerade wünsche, dann den Schlafanzug für die Kinder und morgen ein neues Kinderbett. Und in der nächsten Woche einen Flachbildfernseher. Aber da am MIT wird steif und fest behauptet, dass darin das Ziel dieses großen, von viel Personal durchgeführten und sehr teuren Forschungsprojektes bestehe.
Wie auch immer man zu der Aussicht sich stellen will, ob dieses Ziel jemals wird erreicht werden können: man wird erkennen können bzw. müssen, dass genau das die Lösung der ausweglosen globalen stagnativen Wirtschaftssituation sein würde. Produktion am Ort des Konsums, fast ohne Kapital, zu den reinen Herstellungskosten, ohne Markt, Marketing und Logistik. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben würden, wären großartig, es würde genau all das möglich machen, was eigentlich in der Gegenwart sehr dringend möglich gemacht werden müsste.
Was kann man also tun – hoffen dass Mittel und Möglichkeiten bereitgestellt werden, diesen schmalen Silberstreif am Horizont genauer unter die Lupe zu nehmen, und dann möglicherweise die Wolken so weit zu vertreiben, dass sich eines Tages doch die Röte am Horizont eines neuen schönen Morgens sehen lässt.
Fröhliche Weihnachten!