Zum 11. September 2001

Am gestrigen 11. September wurden wieder, wie in den Jahren zuvor, eine Menge Tweets verschickt, die diese dramatischen Ereignisse in Erinnerung gerufen haben. Bevor es Twitter gab, wurden längere oder kürzere Texte geschrieben, Bücher und Artikel, und tatsächlich, wenn man sich manche von ihnen heute nocheinmal anschaut, lagen sie in Vielem richtig, wie zum Beispiel die Bücher des studiertesten aller Konspirologen, des hauptamtlichen Verschwörungtheoretikers und nebenamtlichen Journalisten Matthias Bröckers, und natürlich viele viele andere, die sich um die Wahrheit, die „Truth“ der Truther, wie diese Menschen in wahrheitsvertuschender Absicht genannt werden, unermüdlich und aufopferungsvoll kümmern.

Mir geht es so: wenn ich an diesem Tag all die Tweets zu diesem Gedenktag lese, denke ich: lieber Himmel, ihr könnt doch alle lesen und hören und Bilder entziffern; es gibt ja nun all die getwitterten Bilddokumente, und einige von diesen müssten es auch dem Dümmsten klarmachen, was an dem Tag passiert ist: es wurden drei riesige Wolkenkratzer zu Fall gebracht, zwei durch gewaltige Sprengungen von oben nach unten, und einer, das Gebäude WTC7, durch eine „klassische“, fachmännische „controlled demolition“, so dass dieses gewaltige Hochhaus in fast freien Fall kerzengerade einstürzt, weil dem Bau die stützenden Konstruktionen sozusagen unter den Füßen weggezogen werden, genauer: weggesprengt werden. Das ist der bezeichnende Unterschied zwischen WTC1 und WTC2 und WTC7: die beiden über 400 Meter hohen Türme wurden von oben nach unten gesprengt, und zwar so gründlich, dass sich die beiden riesigen Berge von Stahl und Beton in feinen, mehligen Staub verwandelten, der nachher in einer dicken Schicht die Straßen von Manhatten bedeckte.  Das WTC7 dagegen wurde zu einem Berg von Trümmern, wie das bei all den tausenden von kontrollierten Abbrüchen üblich und der Fall ist, wenn so etwas durchgeführt wird, um mehrstöckige Hochhäuser in Bauschutt zu verwandeln, ohne dass irgendwo dabei Schäden an Sachen oder Personen entstehen.

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Geld, Zins und wirklicher Reichtum

Seit langer Zeit mal wieder ein Beitrag: eine Kritik von Norbert Häring zu einem Artikel von Jens Berger in den „Nachdenkseiten“, zum Thema „Zinskritik“. Jens Berger hatte diesen Artikel 2011, vor 12 Jahren, veröffentlicht, und es ging damals darum, eine von den sog. Zinskritikern vorgebrachte „Fundamentalkritik“  an der Erhebung von Zins zu entkräften.

Um es also vorweg kurz zusammenzufassen: Was ist gemeint mit Zinskritik?

Jens Berger sagt dazu:

Der Zins, so liest man auf einigen Internetseiten, sei der Konstruktionsfehler, ja geradezu die „Erbsünde“ unseres Geld- und Finanzsystems. Er sorge nicht nur dafür, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, sondern führe auch ganz direkt zu einem exponentiellen Wachstumszwang der Geldmenge und zur Zinsknechtschaft der Bevölkerung. Finanz- und Wirtschaftskrisen seien somit die direkte Folge des Zinssystems.

Die Kritik würde als Konsequenz also beinhalten, das Geldsystem so zu verändern, dass Zinsen auf Null reduziert, also „abgeschafft“ werden, aus oben genannten Gründen. Berger will dagegen seine Sicht darlegen, dass Zinsen eine durchaus sinnvolle Funktion im Wirtschaftsverkehr erfüllen. Zu kritisieren wäre nur eine zu ungleiche Verteilung der Vermögen, und damit, indirekt bzw. daraus resultierend, eine zu ungleiche Verteilung der Macht der Vermögenden:

Diese Kritik war und ist jedoch meist keine ökonomische Kritik, sondern vielmehr eine Kritik an der ungleichen Verteilung des Vermögens und der Macht der Vermögenden, oft durchmischt mit einem religiösen, völkischen, ja antisemitischen Grundton.

Im Folgenden setzt er sich mit den „Irrtümern der Zinskritiker“ auseinander, deren Argumente, wie er zeigen will, „bei näherer Betrachtung wie ein Kartenhaus in sich zusammen“ fallen.

Ein starkes Argument gegen diese Zinskritik ergibt sich, wie Berger zeigt, daraus, dass eine behauptete Folge dieser „Erbsünde“ der Erhebung von Zinsen gar nicht auf den Zins als solchen zurückzuführen ist. Die Zinskritiker behaupten, eine Umverteilung von unten nach oben und die damit verbundene Vermögenskonzentration sei ursächlich dem Zins zuzuschreiben. Tatsächlich liegen die Ursachen für Veränderungen der Vermögensverteilung aber ganz woanders, wie in der Periode zwischen 1945 und 1980 zu beobachten war:

Eine kausale Erklärung für diese korrekt beobachtete Entwicklung liefern die Zinskritiker jedoch nicht. Empirisch lässt sich der Zusammenhang von Zins und Vermögenskonzentration jedoch relativ einfach widerlegen, wenn man sich die Periode von 1945 bis 1980 anschaut. Diese Periode wird auch als „große Kompression“ bezeichnet und zeichnete sich dadurch aus, dass sich nicht nur die Einkommens-, sondern auch die Vermögensschere in allen westlichen Industrieländern immer weiter geschlossen hat. Während dieser Periode hat sich jedoch kaum etwas am Geld- oder Zinssystem verändert.

Was hat sich aber tatsächlich geändert bzw. wodurch wurde diese Veränderung bewirkt:

Was diese Periode auszeichnete, war vielmehr ein klares Bekenntnis seitens der Politik, mittels Gesetzen und des Steuersystems für eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu sorgen.

Wie Berger völlig richtig analysiert, war es der ab den 1980er Jahren immer mehr Einfluss und Dominanz gewinnende Neoliberalismus, die dann wieder zu einem Aufspreizen der Vermögensschwere geführt hat.

Erst die neoliberale Politik, die von Reagan und Thatcher in den 80ern eingeführt und in den Folgejahren von fast allen westlichen Industrieländern kopiert wurde, führte zum Ende der „großen Kompression“ und zur erneuten Öffnung der Einkommens- und Vermögensschere. Am Geld- und Zinssystem hat sich jedoch seit Beginn der neoliberalen Ära ebenfalls relativ wenig verändert. Der Zins war immer da, die Einkommens- und Vermögensentwicklungen, die zur heutigen Konzentration am oberen Ende geführt haben, sind eine direkte Folge der neoliberalen Politik – vor allem der Steuerpolitik.

Berger ist absolut darin zuzustimmen, dass Überlegungen zu einer möglicherweise alternativen Konstruktion des Zinssystems oder gar dessen Abschaffung völlig überflüssig sind, weil sie sich – mit ein wenig gesundem Menschenverstand – ganz von selbst ergeben:

Wer sich einmal die Entwicklung des Spitzensteuersatzes in den Vereinigten Staaten vor Auge führt, findet die Erklärung, warum sich die Einkommens- und Vermögensschere seit 1980 öffnet, von ganz allein. Um diese Entwicklung zu analysieren, braucht man keine Zinskritik – es reicht der gesunde Menschenverstand.

Trotz der hohen Spitzensteuern in den Kriegs- und Nachkriegsjahren konnten die Einkommen auch in den unteren Schichten gesteigert werden, die Ungleichheit nahm also ab, und die soziale Sicherheit, Bildungsqualität und Gesundheitsstandards konnten erhöht bzw. verbessert werden. Das Zinsniveau hatte darauf keinen Einfluss.

Abbildung: Spitzensteuersatz in den USA
Abbildung: Spitzensteuersatz in den USA – Quelle: Wikimedia Commons

Norbert Häring: Zinskritik ist kein Denkfehler

Nun zur Kritik Norbert Härings. Häring stimmt Berger insoweit zu, dass man Zinsen nicht  – mit Gewinn für die Allgemeinheit – einfach abschaffen oder verbieten kann. Dies ist auch leicht einzusehen: wer glaubt, (zu) hohe Zinsen seien ein „Systemfehler“ wie auch etwa (zu) hohe Kosten des Lebensunterhalts oder zu hohe Löhne oder umgekehrt zu hohe Gewinne, der irrt: jeder wünscht sich natürlich aus seiner Sicht niedrige Kosten, hohe Löhne und niedrige Zinsen, aber dem steht natürlich der Wunsch nach hohen Einkommen und etwa hohen Standards in Bildung und Gesundheit entgegen, die natürlich auch erwirtschaftet und bezahlt werden müssen.

Die Kritik Härings an der „Zinskritik“ Bergers geht aber nun in die Richtung, dass nicht die Zinskritik zu kritisieren sei, sondern – der Kapitalismus. Häring meint:

Wichtig zu erwähnen wäre aber auch, dass der Zins ein Mittel ist, um im Sinne des kapitalistischen Systems zu steuern, wer bevorzugt auf gesamtwirtschaftliche Ressourcen zugreifen darf, um „Investitionen vorzunehmen und die eigene Ertragssituation zu steigern“.

Da taucht also plötzlich jemand auf am Steuer, den Berger gar nicht auf der Rechnung hatte: nämlich das kapitalistische System, das bei Entscheidungen über Investitionen und gesamtwirtschaftliche Ressouren ein Wort mitzureden hat. Berger geht zumindest implizit oder in seinem Text sicher auch davon aus, dass dies alles, das Auf und Ab von Zinsen, Einkommen und Gewinnen, sich im kapitalistischen System abspielt, aber das ist nicht extra zu erwähnen, denn: zum kapitalistischen System gibt es – bisher – noch keine bekannte, erprobte und durchführbare Alternative.

Norbert Häring will aber nun behaupten, es gäbe eine oder gar mehrere Alternativen:

Es gibt andere Möglichkeiten der Zuteilung. Stellen wir uns zum Beispiel eine Konsumgenossenschaft vor, die einen Betrieb gründet, um die Produkte herzustellen, die die Mitglieder der Konsumgenossenschaft haben wollen. Die Konsumenten strecken dem Produzenten die nötigen Betriebsmittel vor, damit er für sie gemäß Vereinbarung Waren produziert.

Oder stellen wir uns ein vergesellschaftetes Kreditsystem vor, in dem Kredite nach gesellschaftlichen Kriterien vergeben werden. Der Zins muss dann vielleicht dafür sorgen, dass die Kreditgeber keine Verluste machen, aber er wäre idealerweise nicht das Hauptzuteilungsinstrument.

Das soll vor allem deutlich machen, dass es ganz andere Sichtweisen gibt, wenn man die Prämissen des kapitalistischen Systems verlässt.

Also: Konsumgenossenschaften, oder vergesellschaftete Kreditsysteme. Häring stellt allerdings gleich klar, dass es so einfach wohl nicht ist mit den Alternativen, jedenfalls muss er für das an dieser Stelle, in diesem Text argumentativ zu beackernde Feld schonmal gleich passen:

Das Pro und Kontra der skizzierten Alternativen ist ein zu weites Feld, um es hier zu beackern.

Aber Häring hat ja in seinem ganzen Buch über „Das Ende des Kapitalismus“ Argumente zusammengetragen, die darum sicher nicht in diesem Text neu beackert werden müssten. Dennoch finden sich in Härings ganzem Buch aber letztlich kaum Argumente, die über die hier von Häring genannten hinausgehen: Kapitalismus ohne Zins könne tatsächlich kaum funktionieren, wie er sagt, es sei denn – man „erweitert den Rahmen“ und lässt „andere Wirtschaftsmodelle“ zu:

Ja, viele der Argumente der Zinskritiker überzeugen nicht, wenn diese versuchen, sie systemimmanent vorzutragen. Kapitalismus ohne Zins kann tatsächlich kaum funktionieren. Aber wenn man den Rahmen erweitert und andere Wirtschaftsmodelle zulässt, kann man sehr gut zu dem Ergebnis kommen, dass solche ohne Zins vorzuziehen wären.

Wirtschaftsmodelle, die ohne oder mit sehr niedrigem Zins auskommen, sind Elemente einer Zurückdrängung des Kapitalismus. Ein Zinsverbot als Allheilmittel wäre dagegen eine unrealistische Wunschvorstellung. Mit einem Federstrich lässt sich der Kapitalismus nicht abschaffen.

Härings Lösung wären also: Elemente der Zurückdrängung des Kapitalismus, und andere Wirtschaftsmodelle. Ja aber: warum gibt es diese Elemente und Modelle denn (noch immer) nicht, und warum ist der Kapitalismus denn (noch immer) nicht am Ende? Sondern läuft, im Gefolge von Coronakrise und Ukraine-Krieg, zu vollkommen irrwitzigen, bis dahin nie geahnten Höhen auf?

Elemente der Abschaffung des Kapitalismus?

Solche Elemente zu Zurückdrängung des Kapitalismus hat es gegeben, und sie waren den Vordenkern der ökonomischen Wissenschaft ja nicht unbekannt. Meist denkt man an die drei bekannten Schöpfer der „Grand Theories“, Marx, Keynes und Schumpeter, wenn es um Elemente der Zurückdrängung des Kapitalismus geht, wobei man Marx meist keine in dem Sinne guten Absichten unterstellt, dass so ein Zurückdrängen erstens im Rahmen demokratisch legitimierter Mittel und Wege sich bewegen würde, und zweitens, dass es von Erfolg gekrönt sein würde, in der Art, dass Menschen in aller Welt dies für wünschenswert und attraktiv halten würden. Die Marxsche „Diktatur des Proletariats“ würde niemand für ein probates Element zur Zurückdrängung des Kapitalismus halten.

Joseph Schumpeter und John Maynard Keynes sahen das aber anders. Vor allem waren die beiden sich, trotz erheblicher Unterschiede in ihren Ansätzen, darin einig, dass es weniger um ein Zurückdrängen des Kapitalismus würde gehen müssen, sondern: der Kapitalismus würde das gewissermaßen von selbst erledigen. Der Kapitalismus würde seinen Job erledigen, er würde reifen, nachdem er seine Blütejahre mit hohen Wachstumsraten, hohen Unternehmensgewinnen, ebenfalls hohen Zinsen und hohen Wohlstandsgewinnen in Form hoher und sicherer Löhne erreicht haben würde.

Beide Ökonomen rechneten ab Mitte bis Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre mit einem Einbrechen des expansiven Wachstums. Das würde bedeuten: der Kapitalismus und die in und mit ihm lebenden Menschen könnten sich nun gewissermaßen auf den Lorbeeren ausruhen, und ihren Lebensinhalt anders definieren und gestalten, als durch die weitere ständige „innovative“ Erfindung neuer Konsumgüter, die das Leben NOCH luxuriöser, aufregender, bedeutender und beneidenswerter gestalten sollen.

Das wären dann in der Tat wirksame Elemente der Abschaffung des Kapitalismus gewesen, wobei, und das ist keine Nebenbemerkung, der Kapitalismus eben nicht würde „abgeschafft“ werden müssen, sondern er wäre am seinem eigentlichen Ziel angekommen, er hätte den anvisierten Erfolg der Wohlstandsmaximierung eingefahren, und stünde nun vor anderen Zielen, Inhalten und Aufgaben.

Nur: wie wäre dieses Ziel der Schaffung eines stabilen, statischen, „resilienten“ und nicht mehr wachstumsabhängigen  Wohlstands zu erreichen gewesen? Keynes glaubte, dies sei in erster Linie durch die Verkürzung der Arbeitszeit zu erreichen, und auch allgemein durch eine Erweiterung der Rolle des öffentlichen Sektors. Am Kapitalismus mit seiner zentralen Rolle des Privateigentums wollte Keynes aber nichts ändern.

Anders Joseph Schumpeter. Schumpeter glaubte, das Ende der produktiven, schöpferischen Phase des Kapitalismus werde, wie bei Keynes, den Erfolg dieser produktiven Phase bedeuten, aber dann – werde man quasi in einem ganz undramatischen einfachen Verwaltungsakt den „Sozialismus“ einläuten. Niemand werde etwas dagegen haben, niemand werde das befürchten und kritisieren, oder gar bekämpfen. Die Zeit werde einfach reif sein für den Sozialismus, und der werde im Wesentlichen darin bestehen, dass die öffentliche Hand nun das Ruder übernimmt. Die Aufgaben der Wirtschaft, Produktion und Verteilung, werden dann ganz andere sein, wenn die Aufgabe der Innovation und der Schaffung immer größeren Wohlstands erreicht sein werde, und ab dann werde es um Erhaltung des Geschaffenen, und die eher bürokratische Verwaltung des öffentlichen Vermögens gehen.

Elemente der Abschaffung des Kapitalismus – in China?

China gilt für Viele nicht unbedingt als leuchtendes Vorbild, sondern eher, noch immer, als Diktatur. Aber all die Übel, die Norbert Häring in diesem Artikel und auch in seinen Büchern über das herbeizuführende Ende des Kapitalismus nennt, also exponentieller Wachstumszwang, Zinsknechtschaft, Vermögenskonzentration, Oligarchie und Herrschaft des privaten Geldes, gibt es in China immerhin nicht. Zwar gibt es in China einen obersten Staatschef auf Lebenszeit, und das sieht für Viele sehr nach Diktatur aus. Aber, wie die Erfahrungen vieler Besucher des Landes der letzten Jahre und Jahrzehnte zeigen, geht es den Menschen doch recht gut in diesem Land, das sich nach langem Kampf aus der Armut befreit hat.

Es gibt auch privates Eigentum, und das ist in einigen Fällen riesig groß. Aber die Macht im Staate hat das private Eigentum nicht. Und das Vermögen des Staates ist so groß, dass niemand in der Lage wäre, hier die Machtverhältnisse so umzudrehen, wie es in den westlichen Oligarchien der Fall ist.

Joseph Schump1eter hat zwar auch erwartet oder gehofft, so ein simpler Verwaltungsakt werde mit einem Schlag, an einem einzigen Tag den Sozialismus Wirklichkeit werden lassen, aber das werde, wie gesagt, nur die formale Besiegelung von lange geschehenen Entwicklungen sein, die von der Wirklichkeit und den Menschen längst bestätigt sind.

Auf dem Wege dahin, glaubte auch Schump1eter, werde es eine schrittweise Veränderung geben, so dass die Rolle und die Wirkungsmacht und -tiefe des öffentlichen Sektors nach und nach, schrittweise zunehmen werde.

So hätte man in diesen Jahren, als das Wehklagen über das Einbrechen des Wachstums, der Gewinne und Beschäftigung einsetzte, den öffentlichen Sektor ausweiten, die schrittweise die Arbeitszeit verkürzen, und eine Reihe von Unternehmen, die zwar nicht mehr wachstumsfähig, aber erhaltenswert waren, verstaatlichen können. So hatte Joseph Schumpeter dies für einige Unternehmen vorgesehen, wie er am Beispiel der Entwicklung in England einmal aufgezeigt hat.

Aber was passierte dann? Der Neoliberalismus machte sich breit.  Und was hatte das zur Folge: es gab dann zwar weiteres Wachstum, aber nicht mehr Wohlstandszuwachs für alle, für die Masse der Menschen, sondern nur noch Gewinnzuwachs für Unternehmen bzw. deren Eigner. Und diese Vermögen landeten in zunehmendem Maße in immer den gleichen Händen: bei den Vermögensverwalten, den Jongleuren von „OPM“, von other peoples money.

Und so ist es bis heute geblieben, und die Menschen träumen seit 40 Jahren von neuen Innovationen und neuem Wachstum, das einen „Aufschwung“ beschert und einen neuen  „Wums“, wie der kleine Träumer Bubi Scholz diese Fata Morgana genannt hat, als er dann Bundeskanzler werden durfte.

Warum muss es nun Wachstum geben – Keynes und Schumpeter sahen keinen Wachstumszwang. Das Schlüsselelement, das Keynes und Schumpter sahen, war der hinreichend große, wirkungsvolle, aktive, gut mit aktiven und gebildeten Menschen ausgestattete öffentliche Sektor, was für Schumpeter „Sozialismus“ bedeutete.

Wachstumszwang nur noch für die Vermögen der Reichen

Wachstum muss es eigentlich nur geben, damit die konzentrierten Vermögen der Vermögensbesitzer wachsen können – in alle Ewigkeit.

Patrick Kaczmarczyk, ein junger hoffnungsvoller Ökonom, hat seinem letzten Buch „Kampf der Nationen“ beschrieben, warum es Wachstum geben muss:

Warum müssen Firmen wachsen? Wenn wir uns der Unternehmensanalyse zuwenden, so müssen wir selbstverständlich andere Kriterien anlegen, als wir es bei der Bewertung der wirtschaftlichen Leistung eines Staates tun. Wie es allerdings in der Politik üblich ist, dass die vielleicht am meisten debattierte Frage die Frage nach dem Wachstum ist (ob gerechtfertigt oder ungerechtfertigt, lassen wir mal stehen), so haben auch die Unternehmen vornehmlich das Ziel »Wachstum« im Kopf. Warum? Die Antwort darauf ist einfach: Wie wir als Menschen sehen sich Firmen ebenfalls einer völlig ungewissen Zukunft gegenüber. Und so, wie wir Menschen mit der Ungewissheit unsere Schwierigkeit haben oder sie gerne verdrängen, mögen Firmen den Umstand genauso wenig.

In der produktiven Phase des Kapitalismus war es so, dass diese Arena des Kampfes ums Überleben und – natürlich – auch um Wachstum von Gewinnen, Anteilen und Branchen einen Zwang bedeuteten. Völlig richtig, so war es (und ist es für einige noch immer) mit dem Wachstumszwang und den Unternehmen in einer völlig ungewissen Zukunft. Eben darum, weil diese Zeit des Kampfes um Innovationen und immer neue aufregende, die Menschen entzückende Produkte lange vorbei ist, wie der Ökonom Robert Gordon in seinem Buch über „Aufstieg und Fall des (amerikanischen) Wachstums“ so schön gezeigt hat, müssen die ehemaligen Großunternehmen die Rolle übernehmen, die in der Blütezeit des Kapitalismus die privaten Unternehmen und die „Schumpeterschen“ innovativen, schöpferischen Unternehmer innehatten.

Heute müssen öffentliche Unternehmen, der öffentliche Sektor diese Rolle übernehmen – eben weil sie nicht mehr wachsen müssen, und auch keiner ungewissen Zukunft mehr gegenüberstehen. Sie müssen, wie früher auch die Bundesbahn, solide, verlässlich und umsichtig arbeiten und wirtschaften, wie es die Schweizer Bahnen bis heute tun, die privatisierte deutsche Bahn aber leider nicht mehr, weshalb die Schweizer Bahn die deutschen Züge nicht mehr ins Land lässt, weil die Deutschen zu unzuverlässig geworden sind.

Null-Grenzkosten-Gesellschaft – resiliente Gesellschaft – aktiver öffentlicher Sektor

Wir brauchen also keine neuen Elemente der Abschaffung des Kapitalismus, sondern eine Erweiterung des öffentlichen Sektors, und zwar in angemessenem und hinreichendem Umfang. Der Wahn des Neoliberalismus gaukelt den Menschen seit mindestens 40 Jahren vor, dass nur private, gewinnorientierte Initiative und die Anreize durch hohe Managereinkommen wieder einen neuen Boom und Verhältnisse wie zu Wirtschaftswunderzeiten einkehren lassen. Aber das ist absurd.

Was es bedeutet und wohin es führen kann, wenn der öffentliche Sektor, ja die ganze Politik und die ehemalige „vierte Gewalt“, die Medien, völlig kapitulieren vor der Habgier der privaten Gewinnsucht, zeigen die inzwischen gewonnenen Erfahrungen mit der „Pandemie“. Ein kürzlich erschienener Beitrag des ÖR Fernsehens im SWR2 zeigt auf, wie hemmungslos mit dem Geld der Steuer- und Beitragszahler umgegangen worden ist. Mit (teilweise falschen) Test-Centern, Soforthilfen, Masken-Beschaffung, Apotheker-Deals und vor Allem den verschleuderten Milliarden für die Pharmamindustrie sind die Menschen systematisch und in großem Stil betrogen worden.

Diese Entwicklungen, die vor inzwischen über 40 Jahren auf die falsche Bahn gelotst worden sind, sind nicht leicht wieder zurückzudrehen. Was heute verstanden werden muss: Was sinnvolle Elemente einer Eindämmung des Kapitalismus sein können, ist eigentlich längst bekannt, es wurde aber – mit sehr unfeinen, betrügerischen – Mitteln verhindert. Heute muss dieser ungeheuerliche Betrug aufgedeckt werden, die Menschen müssen endlich aufwachen und sich dem entgegenstellen – und dann die Wege einschlagen, die sie vor gut 40 Jahren schon hätten einschlagen können.

Wirklicher Reichtum, sagte Karl Marx immer wieder, ist nicht Geld-Reichtum, und er trägt keine Zinsen, und wirft keine Zinsen ab. Wirkliches Vermögen und wirklicher Reichtum ist öffentliches Vermögen, und nicht in Geld zu bewerten und mit Geld oder Gold aufzuwiegen. Menschen müssen verstehen, dass der öffentliche Reichtum geschaffen und gewonnen werden muss – solange es noch geht.

Die Zukunft erfinden – so lange es sie noch gibt

Es ist schon einige Jahre her, dass Nick Srnicek und Alex Williams dieses Buch über die Zukunft geschrieben haben.  Es sollte ein „Manifest“ sein: „‚Die Zukunft erfinden‘ ist ein Manifest für das Leben nach dem Kapitalismus.“

Die beiden hatten in vielem verdammt Recht:

Gegen die Konfusion, die politisch links wie rechts herrscht, wenn es darum geht, unsere High-Tech-Welt zu verstehen, stellt sich das Buch der Aufgabe, das emanzipatorische und zukunftsorientierte Potential der heutigen Gesellschaften zurückzuerobern. Statt einer komplizierten Zukunft auszuweichen, zielen Nick Srnicek und Alex Williams auf eine postkapitalistische Ökonomie, die es erlaubt, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, die Arbeit abzuschaffen und Technologien zu entwickeln, die unsere Freiheiten erweitern.

Stimmt.

Was sie nicht verstanden haben: Der Kapitalismus trägt nicht nur sein eigenes Ende in sich, er trägt auch das Ende der Arbeit in sich – wie die Wolke den Regen. Das aber bedeutet: das Kapital, die private Geldvermehrungsmaschine, muss eine öffentliche, gesellschaftliche  werden.

Natürlich denkt dann jeder: Wie könnte das geschehen? Da denkt man: das darf nicht geschehen, das kann nicht geschehen, und das wird auch nicht geschehen, niemals. Das wäre ja eine Revolution.

Stimmt, die Revolutionen, die geschehen sind, waren (fast alle) blutig, gewalttätig und sinnlos, und sie haben zu nichts Gutem geführt. Aber diese Revolution, die (auch) das Ende der Arbeit bedeutet, muss weder blutig sein, noch gewalttätig, noch sinnlos. Sie vollzieht sich in vielen Tausend kleinen Schritten, und wenn die Zeit reif ist, geschieht sie ganz unspektakulär, als wäre sie schon immer dagewesen, und man kann sich gar nichts anderes vorstellen.

Genauso, ganz langsam und unspektakulär, muss auch das Kapital verschwinden – in den Händen der steuernden und verwaltenden Öffentlichkeit. Wenn das aber nicht geschieht, wird aus dem Kapital – am Ende, wenn das Kapital seinen eigentlichen Job erfüllt hat – eine Rentensuchermaschine, ein Staub- und Geldsauger für Arbeit, die eigentlich längst nicht mehr getan werden müsste.

Wenn das aber geschieht, wird das (große, private) Kapital einfach immer weniger, und das Öffentliche wird immer mehr. Es verwandelt sich dabei aber nicht mehr in Geld, und es wächst auch nicht mehr, sondern es ist dann einfach da, und wird vernünftig gemanaged und verwaltet.

Die beiden Autoren schreiben dazu:

„Eine öffentliche politische Kontrolle neuer Technologien sollte die Welt zum Besseren wenden. Heute nun erscheint die Verwirklichung solcher Träume tatsächlich in greifbare Nähe gerückt.“

Richtig! Es müsste aber eine öffentliche politische Kontrolle nicht nur bestimmter neuer Technologien sein, sondern generell etwas mehr, mehr öffentliche politische Kontrolle.

Die technologische Infrastruktur des 21. Jahrhunderts stellt Ressourcen bereit, mit denen sich grundlegend andere politische und ökonomische Verhältnisse realisieren ließen. Maschinen erledigen Aufgaben, deren Automatisierung noch vor einem Jahrzehnt undenkbar erschien.

Im Prinzip völlig richtig. Auch das:

Die neueste Welle der Automation schafft die Möglichkeit, ganze Sparten öder und erniedrigender Arbeiten dauerhaft abzuschaffen.

Jetzt kommt aber langsam der Haken an der Sache in den Blick: Das Kapital verschwindet nicht. Die Wolke will nicht abregnen.

Muss das denn so sein, ließe sich das nicht ändern, fragen sie:

Doch wie ließe sich das ändern? Rund um uns scheinen die in den vergangenen hundert Jahren tonangebenden politischen Zusammenhänge, gesellschaftlichen Bewegungen und Strömungen nicht länger in der Lage, Transformationsprozesse und echte Veränderungen in Gang zu setzen. Stattdessen zwingen sie uns ständig zurück ins Hamsterrad unseres Elends.

Also: seit hundert Jahren das gleiche Hamsterrad, keine Transformationsprozesse und echte Veränderungen. Aber sie geben nicht auf, und hoffen auf eine Welt, die „moderner ist als der Kapitalismus erlaubt“:

Das vorliegende Buch umreißt daher eine andere Art Politik, eine, der es darum geht, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und den Wunsch nach einer Welt zu fördern, die moderner ist, als der Kapitalismus erlaubt.

Gut, einverstanden! Aber – warum, zum Teufel,  gibt es die Welt denn nicht, die anders wäre als der Kapitalismus erlaubt??

Nach längeren Ausführungen zu einer wenig aussichtsreichen „Folkpolitik“, die sie kritisieren, kommen sie im dritten Kapitel zu einem  alten Bekannten: zum Neoliberalismus. Und, wie es scheint, kommen sie damit eben diesen Kräften auf die Spur, die genau das wollen: statt eines Endes der Arbeit und einer moderneren Welt wollen sie, dass die Geldsaugermaschine in Ewigkeit nicht anhält und die Geldströme sich end- und sinnlos ergießen wie die Wassereimer der Zauberlehrlinge.

Die Machart neoliberaler Hegemonie

Mit der Entzifferung der Machart des Neoliberalismus, dem es in der Tat um die Schaffung eines Netzes aus hegemonialer Herrschaft und Kontrolle geht, machen die beiden Autoren es sich nicht leicht. Neoliberalismus ist ja nicht einfach eine von vielen möglichen ökonomischen Theorien, wie man vielleicht meinen könnte, und sie holen weit aus, um zu erklären, wie aus einer so „kleinen Truppe“ mit einer „randständigen Theorie“, die der Neoliberalismus in seinen Ursprüngen war, eine „weltbeherrschende Ideologie“ werden konnte, der es gelang, „die Welt radikal umzukrempeln“.

Sie schreiben – und das ist wichtig zu verstehen:

Der Neoliberalismus war nie ein vorgezeichneter oder notwendiger Endpunkt kapitalistischer Akkumulation. Von Anfang an war er hingegen ein politisches Projekt, und letztlich ein enorm erfolgreiches. Sein Erfolg verdankt sich seiner geschickten Etablierung als Ideologie, gestützt auf eine entsprechende Infrastruktur.

Wie hat der „Erfinder des Kapitalismus“ Karl Marx (der Ausdruck sei verziehen..) die Zukunft des Kapitalismus gesehen? Tatsächlich glaubte Marx ja genau das: die Entwicklung des Kapitalismus kulminiere in einem vorgezeichneten und notwendigen Endpunkt der Akkumulation, und das werde den Kapitalismus eben transzendieren, ihn ablösen, über sich selbst hinausführen, und das eben auch mit einem „Ende der Arbeit“. Insoweit war die Zukunft des Kapitalismus, wie Marx sie kommen sah, in der Tat auch ein politisches Projekt – ein sehr politisches Projekt.

Aber das politische Projekt des Neoliberalismus bestand genau darin, diesen möglichen Endpunkt der kapitalistischen Akkumulation zu verhindern.

Wie hätte das gelingen können?

Die Autoren schreiben: „In der öffentlichen Wahrnehmung wird Neoliberalismus gewöhnlich mit der Verklärung der freien Marktwirtschaft identifiziert – verbunden mit einem Eintreten für Freihandel, für den Schutz des Privateigentums und des freien Kapitalverkehrs.“ Das ist vollkommen richtig, und so weit gab es auch Überschneidungen mit anderen ökonomischen Theorien.  Aber die tieferen Absichten mit dem Neoliberalismus gingen weit darüber hinaus, nach „bescheidenen Anfängen“:

Nach bescheidenen Anfängen war es die universalisierende Logik des Neoliberalismus, die ihn in die Lage versetzte, sich weltweit auszubreiten und in Medien, Forschung und Lehre, Politik und Arbeitswelt sowie in Gemüter, Empfindungen und Identitäten gewöhnlicher Menschen weltweit einzudringen.

Wieso gelang dies anderen Theorien, Forschungszweigen oder -einrichtungen und Instituten nicht? Oder jedenfalls nicht so erfolgreich?

Neoliberale Denkkollektive: Das Colloque Walter Lippmann, und die Mont Pèlerin Society (MPS)

Zur Vorgeschichte derartiger Denkkollektive muss man die (geplante) Geschichte des Kapitalismus bis zu dessen – vorzeitigem – Ende mit der russischen Oktoberrevolution im Blick haben. Mit der Oktoberrevolution 1917 sollte ja eine – eigentlich notwendige – Phase des Kapitalismus übersprungen und „wegdekretiert“ (wie Marx die kritisierte, die so etwas versuchten) werden, um gleich mit dem Sozialismus zu beginnen; so hatte ein Herr Lenin sich das jedenfalls, wenn die Quellen stimmen, wohl gedacht. Der Ökonom Ludwig van Mises entdeckte aber nun, dass der geplante Sozialismus nicht würde funktionieren können: 1920 veröffentlichte van Mises seinen Aufsatz  über die „Unmöglichkeit der Sozialismus und der sozialistischen Wirtschaftsrechnung.“ Ist Sozialismus also unmöglich? Daraus würde jedenfalls folgen, naheliegenderweise: Wenn irgendjemand irgendwoanders in der Welt trotz der Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung an den Sozialismus glaubt und ihn einführen und zum Funktionieren bringen wollen würde, dann muss „die Freie Welt“ sich um die Freiheit der Marktwirtschaft, die freien Lehre in der Wissenschaft und um das Privateigentum große Sorgen machen, und – Sozialismus nach Möglichkeit verhindern.

Wie Ludwig van Mises dachten viele andere Ökonomen zu der Zeit, darunter auch Friedrich von Hayek und viele andere, und es bildeten sich „disparate Anfänge“ dessen, was dann zum Neoliberalismus werden sollte. Diese „lassen sich im Wien der 1920er Jahre ebenso finden wie in den 1930ern in Chicago und London oder in den 1930er und 1940er Jahren in Deutschland,“ wie die beiden Autoren schreiben.

Weiter ging es dann mit dem Colloque Walter Lippmann:

1938 dann fanden die bis dahin unabhängig voneinander agierenden Intellektuellen zu einer ersten transnationalen Organisationsform. Ausgangspunkt war das in Paris unmittelbar vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs abgehaltene Colloque Walter Lippmann. Erstmalig brachte diese Veranstaltung altliberale Theoretiker, Vertreter des neuen deutschen Ordoliberalismus, Liberale der London School of Economics und Nationalökonomen der Österreichischen Schule wie Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises zusammen.

Wer war der Namengeber Walter Lippmann? Walter Lippmann, ein 1889 in New York geborener Journalist und politischer Schriftsteller, hatte 1922 das Buch „Die öffentliche Meinung“ herausgebracht, und war damit recht bekannt geworden.  Ohne nun in allen Einzelheiten auf dieses Buch und dessen „Message“ einzugehen, geht es in dem Buch im Wesentlichen darum, dass Journalisten und Medienschaffende auf die Öffentlichkeit, also die in der Öffentlichkeit sich artikulierenden und informierenden Menschen mit der Absicht zugehen sollten, die Meinungen gezielt zu steuern und zu manipulieren. Journalisten und Medien sollten „Pseudowirklichkeiten“ erschaffen, hinter denen die echte Wirklichkeit verschwindet, während diese nur den „Eliten“ vorgehalten bleibt, die die Wirklichkeit dann ihren (partikularen) Interessen entsprechend formen. Dass der Schutz des Eigentums und die Wahrung der Interessen einiger besonders wohlhabender Eigentümer hier eine besondere Rolle spielt – nicht wenige Kenner dieses und anderer Bücher Walter Lippmanns halten es für möglich, dass Lippmann mit seinen Pseusowirklichkeiten so etwas im Schilde führte.  Da auch Edward Bernays mit seiner „modernen Theorie der Propaganda“, die er später als „Public Relations“ weltbekannt machte, etwas Ähnliches im Sinn hatte, scheint das nicht zu weit her geholt.

Das Colloque Walter Lippmann machte nun – natürlich stark behindert durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs – weiter, aber ohne Walter Lippmann. Friedrich von Hayek habe dann die Idee gehabt, nach Ende des Krieges „ein ’neoliberales Denkkollektiv‘ zu formen und so den langsamen Aufstieg dessen einzuleiten, was später hegemonial werden sollte“, wie die Autoren schreiben:

Eine zufällige Begegnung mit einem Schweizer Geschäftsmann im Jahr 1945 verschaffte Hayek die finanziellen Mittel, seine Idee in die Tat umzusetzen. Dies war die Geburtsstunde der Mont Pèlerin Society (MPS), eines geschlossenen Kreises von Intellektuellen, der die Infrastruktur bildete, damit der Neoliberalismus seine ideologische Wirkung entfalten konnten. Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, dass so gut wie alle für die Herausbildung des Neoliberalismus in der Nachkriegszeit wichtigen Intellektuellen bei der ersten Zusammenkunft der MPS im Jahr 1947 anwesend waren, darunter Nationalökonomen der Österreichischen Schule, britische Liberale, Vertreter der Chicago School, deutsche Ordoliberale sowie eine Delegation aus Frankreich.

Dieser intellektuelle Rahmenentwurf, schreiben Srnicek und Williams, sollten dann „durch Thinktanks, Universitäten und das Lancieren strategischer Papiere tatkräftig unterstützt werden, um ideologisch das institutionelle Terrain zu durchdringen und schließlich zu monopolisieren.“ Von Hayek hat in dieser ersten 10-tätigen Zusammenkunft der MPS dann schon recht deutlich werden lassen, was das „zentrale Ziel“ dieses Programms war:

Das Problem der neuen Liberalen war in seinen Augen ein Mangel an Alternativen zur existierenden (keynesianischen) Ordnung: Weder gab es »eine Grundphilosophie der oppositionellen Gruppen«, noch verfügten sie für einen Richtungswechsel über ein »wirkliches Programm«. Aus dieser Diagnose ergab sich für Hayek das zentrale Ziel der MPS, nämlich auf die Meinung der Eliten verändernd einzuwirken, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen die öffentliche Meinung dann beeinflusst werden konnte.

Von Hayek hatte damit genau das angesprochen, was auch bei Walter Lippmann das „wirkliche Programm“ gewesen war.

Diese so aktive Gruppe von Intellektuellen verstand sich also als „berufsmäßige Ideenvermittler“, um auf möglichst vielen Schauplätzen zu agieren, und wollte „die Eliten beeinflussen und einen neuen Common Sense schaffen.“

Es ging dabei explizit darum, die herrschende keynesianische Weltsicht zu erschüttern, um in der Folge auf der Grundlage neoliberaler Überzeugungen eigene politische Lösungsvorschläge zu lancieren.

Dabei ist es wichtig daran zu denken, was die „herrschende keynesianische Weltsicht“ – in der es nach Ende des 2. Weltkrieges vornehmlich um Themen wie Vollbeschäftigung und ggls. antizyklische Stabilisierung der Nachfrage ging – auf lange Sicht einmal bedeuten würde: nämlich einen säkularen, unumkehrbaren Einbruch des Wachstums und der ganzen kapitalistischen Weltsicht, wie Keynes dies für die Zeit ab etwa Mitte der 1970er Jahre ja prognostiziert hatte.

Und genau in diesem Moment, als das Wachstum nach der expansiven Wachstumsphase mit überhitzter Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung einzubrechen begann, kam all das nun zur Blüte, was im Stillen über Jahrzehnte vorbereitet worden war. Als erstes musste „die Macht der Gewerkschaften“ gebrochen werden, und ferner musste die Inflation bekämpft werden:

Das Ergebnis der Arbeit des Instituts war nicht nur ein allmählicher Wandel des ökonomischen Diskurses in Großbritannien, sondern insbesondere auch, zwei spezifische politische Ziele im ideologischen Bewusstsein zu verwurzeln: die Notwendigkeit, die »Macht der Gewerkschaften« anzugreifen, und das Gebot, für Geldwertstabilität zu sorgen.

Die weitere Entwicklung ist bekannt, und muss nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben werden. Die Autoren schreiben:

Selbst wenn keynesianische Ansätze in der Lage gewesen wären, doch noch eine Erklärung für die Stagflation zu finden, war es zu spät: Neoliberale Denkweisen hatten sich an den Universitäten ebenso durchgesetzt wie in der Politik. Kurz und gut, der Neoliberalismus war hegemonial geworden. Es war 1979 und binnen kürzester Zeit wurde Maggie Thatcher zur britischen Premierministerin gewählt, Paul Volcker zum Vorsitzenden der US-Notenbank ernannt, des Federal Reserve Systems, und Ronald Reagan gewann die Präsidentschaftswahlen in den USA.

So war es: der „Neoliberalismus war hegemonial geworden“, und die beiden Galionsfiguren Maggie Thatcher und Ronald Reagan hatten das Ruder übernommen. Mit großem Erfolg:

In den USA und in Großbritannien kam es zu einer Welle systematischer Angriffe auf Positionen der organisierten Arbeiterbewegung. Stück für Stück wurden Gewerkschaften geschwächt und Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt. Kapitalverkehrskontrollen wurden gelockert, man deregulierte die Finanzsphäre und zerfledderte den Sozialstaat auf der Suche nach profitablen Teilen.

So weit also zur – verhängnisvollen – Entstehungsgeschichte des Neoliberalismus.

Walter Lippmann und der CFR

Im Buch von Srnicek und Williams geht es anschließend um die Idee, ein „Mont Pèlerin der Linken“ zu entwerfen und – als Gegenprogramm und Bewegung – aufzubauen. Keine schlechte Idee – man müsste dazu nur Zeit (40 Jahre) und Geld mitbringen, und zwar möglichst ebensoviel Zeit wie Geld. Leider ist beides knapp.

Was den beiden Autoren bei der Spurensuche zur Entstehung des Neoliberalismus offenbar entgangen ist, ist eine andere wichtige Spur, die Walter Lippmann hinterlassen hat: Lippmann war nicht nur bei der Entstehung des Colloque Walter Lippmann aktiv beteiligt, sondern auch bei der Entstehung des Council on Foreign Relations (CRF). Beides ist möglicherweise von weit tiefgreifenderer Bedeutung.

Der Wikidedia-Enzyklopädie sei hier einmal das Folgende anvertraut:

Im Winter 1917/18 schlossen sich die beiden Berater des US-Präsidenten Woodrow Wilson, der Diplomat Edward M. House und der Journalist Walter Lippmann zu einer diskret operierenden Gemeinschaft zusammen, um Optionen für Präsident Wilson zu erarbeiten, wie die Politik nach dem Fall des Deutschen Kaiserreichs als Folge des Ersten Weltkriegs aussehen könnte. Die Gruppe nannte sich schlicht The Inquiry, was mit Die Untersuchung übersetzt werden kann. Lippmann gab folgende Erklärung ab: „Unser Vorhaben ist genial. Pure, aufsehenerregende Genialität – und nichts anderes.“ In der offiziellen Geschichtsschreibung gelten Lippmann und House als federführend beim Entwurf von Wilsons 14-Punkte-Programm vom Januar 1918.

Also, der geniale Schreiber Walter Lippmann, Erfinder von Pseudoumwelten, in diskret operierender Gemeinschaft mit dem Diplomaten Edward M. House, um „Optionen für Präsident Wilson zu erarbeiten, wie die Politik nach dem Fall des Deutschen Kaiserreichs als Folge des Ersten Weltkriegs aussehen könnte.“ Wie werden diese Optionen aussehen?

Wie ging es weiter? Die Wikipedia berichtet:

Knapp zwei Jahre nach Beendigung des Ersten Weltkriegs trafen sich im Winter 1920/21 die Mitglieder eines Komitees um den Bankier Paul Warburg, der ein Ideengeber für die Gründung der US-Notenbank (Federal Reserve System) gewesen war, regelmäßig in einem angemieteten Büro in der 43rd Street in Manhattan und luden eine Reihe von ausgesuchten Männern ein, Mitglied im neuen Council on Foreign Relations zu werden. (…) Als der Council on Foreign Relations schließlich am 29. Juli 1921 gegründet wurde, bestand das gewählte Direktorium aus dem Ehrenpräsidenten und Friedensnobelpreisträger Elihu Root, Präsident John W. Davis und Vizepräsident Paul D. Cravath, alle drei Juristen, wobei Davis und Cravath Anwälte für namhafte New Yorker Investmentbanken wie Kuhn, Loeb & Co. waren. Erste Direktoren wurden Warburg und Otto Hermann Kahn, Vorstand des Bankhauses Kuhn, Loeb & Co. Mit dem Londoner Royal Institute of International Affairs und dem Hamburger Institut für Auswärtige Politik fand der Council on Foreign Relations internationale Entsprechungen in Großbritannien und Deutschland.

Wen haben wir da also versammelt, in diskret operierender Gemeinschaft: den Bankier Paul Warburg, Ideengeber für die Gründung der US-Notenbank (Federal Reserve System), die New Yorker Investmentbanken Kuhn, Loeb & Co., und deren Vorstand Otto Hermann Kahn. Wie wird die Politik nach dem Fall des Deutschen Kaiserreichs als Folge des Ersten Weltkriegs nach dem Geschmack dieser diskreten Gemeinschaft wohl aussehen?

In der Wikipedida heißt es weiter:

1950 übernahm Dwight D. Eisenhower (US-Präsident 1953–1961) den Vorsitz bei einer CFR-Studiengruppe. Ein Mitglied sagte später: „Was auch immer General Eisenhower über die Wirtschaft weiß, hat er in den Sitzungen der CFR-Studie gelernt.“ Innerhalb dieser Studiengruppe entstand eine weitere Arbeitsgruppe namens Americans for Eisenhower, um seine Chancen für die Präsidentschaft zu erhöhen. Nach der Wahl zum US-Präsidenten (1953) rekrutierte Eisenhower viele Kabinettsmitglieder aus den Reihen des CFR und er selber wurde ebenfalls Mitglied der elitären Institution. Als wichtigste Personalie ernannte er CFR-Mitglied John Foster Dulles zum US-Außenminister. Am 12. Januar 1954 hielt Dulles bei einem Dinner im Harold Pratt-House in New York City eine Ansprache bei der er eine neue Richtung für Eisenhowers Außenpolitik und eine neue Sichtweise zu eventuellen Vergeltungsmaßnahmen gegen kommunistisch regierte Staaten ankündigt. Als Folge dieser Ansprache wurde ein Programm zum Thema Nukleare Waffen- und Außenpolitik gegründet und man wählte Henry Kissinger zum Leiter dieser Studiengruppe.

Also: US-Präsident Eisenhower „rekrutierte viele Kabinettsmitglieder aus den Reihen des CFR und er selber wurde ebenfalls Mitglied der elitären Institution. Als wichtigste Personalie ernannte er CFR-Mitglied John Foster Dulles zum US-Außenminister…..“ Na dann kann ja schon fast nicht mehr viel schief gehn, Eisenhower ist selbst im Club, und John Fosters Bruder Allan Dulles wird bald CIA-Direktor…

Nun noch ein Blick auf den aktuellen Vorstand des CFR:

Präsident des CFR ist seit 2003 Richard Nathan Haass, Vizepräsident ist Richard E. Salomon.

Das Board of Directors wird geleitet von:

  • David M. Rubenstein (Chairman) – Cofounder und Co-Chief Executive Officer, The Carlyle Group.
  • Blair Effron (Vice Chairman) – Cofounder, Centerview Partners.
  • Jami Miscik (Vice Chairman) – Chief Executive Officer und Vice Chairman, Kissinger Associates, Inc.

Insgesamt sitzen 36 Personen im Board of Directors, so der der ehemalige US-Außenminister Colin Powell und die allesamt im Investmentbanking und Private Equity agierenden Penny Pritzker, Peter George Peterson (Blackstone Group) und Stephen Friedman (Ex-CEO Goldman Sachs & Fed of NY).

Mindestens genauso interessant sind die ehemaligen Vorstände (laut Wikipedia):

Zu den ehemaligen Vorständen des CFR gehören

und viele weitere Persönlichkeiten vornehmlich aus Politik, Finanzwirtschaft und Elite-Universitätskreisen mit höchstem Einfluss

Allen Dulles: die Autoren der Wikipedia schreiben ganz offenherzig, Dulles habe „damals statt klandestiner Aktivitäten öffentliche Propaganda durch private Institutionen favorisiert, wobei er durchaus auch die Desinformation der US-Bevölkerung einbezog.“  Ach was. Zur Warren Kommission ist zu lesen: „Nach der Ermordung Kennedys 1963 war Dulles ein umstrittenes Mitglied der Warren-Kommission, welche das Attentat aufklären sollte. Dulles forcierte von Anfang an die Alleintäterthese, was Ermittlungen in andere Richtungen blockierte.“ Ach was.

Zbigniew Brzeziński: zum Thema Pseusoumwelten hat Brzeziński Folgendes beizutragen: Brzeziński habe 1971 die Idee gehabt, „eine Kommission zu gründen, die den Dialog zwischen amerikanischen, europäischen und japanischen Eliten fördert“, und die Idee habe er David Rockefeller vorgeschlagen. „Er argumentierte, die Vereinigten Staaten, Europa und Japan würden in den Bereichen Postindustrielle Gesellschaft, Umwelt- und Sicherheitspolitik vor denselben Herausforderungen stehen, wären die einzigen Akteure, die signifikant zur Lösung beitragen könnten und würden daher auch eine besondere Verantwortung tragen. Rockefeller hatte schon seit einigen Jahren versucht, die Bilderberg-Gruppe davon zu überzeugen, auch japanische Teilnehmer einzuladen. Als dies während der Bilderberg-Konferenz im April 1972 abgelehnt wurde, führte dies zur Gründung der Trilateralen Kommission im Juli 1973. David Rockefeller übernahm die Finanzierung.“ Mit Kommisionen lässt sich, wie sich also auch hier lernen lässt, viel erreichen. Schön ist auch diese Schöpfung Brzezińskis: wenn in Zukunft 80 % der Weltbevölkerung arbeitslos geworden ist,  muss man die Menschen durch eine „moderne Form von Brot und Spielen bei Laune halten“, was er „Tittytainment“ genannt hat – Entertainment durch Versexung gewissermaßen.

Eine ganz  wichtige Hinterlassenschaft Brzezińskis: das Buch Die einzige Weltmacht. Darin begründete er die geopolitische Strategie, „die die USA als erste, einzige und letzte Weltmacht seiner Meinung nach einschlagen sollten: den eurasischen Kontinent unter ihrer Kontrolle zu halten und rivalisierende Bestrebungen zu verhindern, die die Machtstellung der USA gefährden könnten.“

Dick Cheney: mit dem Namen Dick Cheney ist man schon bald bei der Rolle Cheneys bei  der 1997 von ihm gegründeten konservativen Denkfabrik „Project for the New American Century“, zusammen mit dem späteren US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Von dieser Denkfabrik stammt der im September 2000 publizierte Strategie-Papier „REBUILDING A MERICA S DEFENSES. Strategy, Forces and Resources For a New Century“.  Dieses Papier behauptet, um den notwendigen Umfang von Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft herzustellen, müsse über eine lange Zeit sehr großer Aufwand getrieben werden, so dass der Prozess der Transformation ein langer sein werde, es sei denn, es werde ein „katalytisches, katastrophales Ereignis“ eintreten – wie ein neues Pearl Harbor. Wie auch immer man sich die Natur dieses Ereignisses vorstellen mag, die dann – offenbar schneller als von dem Strategiepapier erwartet – zu einem so dramatischen „revolutionären“ Umkrempeln der Welt geführt haben, zuerst, mit Patriot Act, Anthrax Briefen und Gesetzverfahren im Schnelldurchlauf, dann in der Serie von verheerenden Kriegen in Afghanistan, im Irak, später in Libyen und (halb) im Syrien, dann ist klar, dass es die Pläne dieser konservativen Denkfabrik aufgegangen sind – der Welt wurde ein Stempel aufgedrückt, so nachhaltig, dass sie sich nie wieder davon erholen wird.

Zukunft erfinden – wenn es noch eine gibt

Was bleibt also von der Erfindung einer möglichen Zukunft, und der Idee eines Mont Pèlerin der Linken? Inzwischen sollte es kaum noch übersehbar geworden sein: die Widerstände all dessen, was aus dem Neoliberalismus geworden ist, die ungeheure Macht, die daraus hervorgewachsen ist, und die unvorstellbaren Gebirge von Geldvermögen, die da bei einigen wenigen Vermögenden aufgetürmt worden sind, die lassen die Hoffnung sehr verschwindend klein erscheinen, dass so eine Idee eines Mont Pèlerin der Linken dem etwas entgegen setzen könnte.

Tatsächlich sind es sozio-ökonomische Vorgänge, die so klar vorhersehbar sein könnten und sein müssten wie Naturgesetze – nach diesen Gesetzen wären die Arbeit und das Geld schon bald abgeschafft und besiegt. Aber da gibt es Mächte, die halten sich nicht an Naturgesetze, jedenfalls in der Welt des Westens, wo die Gesetze des Ostens (Russland, China, multipolare Welt) nicht gelten. Immerhin gibt es diese andere Welt – die immer stärker wird.

In der westlichen Welt sollen aber andere Gesetze gelten, die Gesetze der Masse des Geldes, der Schwerkraft des Goldes, der Habgier, der betrügerischen Rafinesse, und die Macht der Thinktanks sind offenbar stärker, stärker sogar sogar als die physikalischen und biologischen Naturgesetze, jedenfalls glauben sie stärker zu sein – bis die biologischen Naturgesetze die Welt über der unendlichen Habgier einiger Weniger schließlich doch zu Fall bringen, dann aber für immer, und jetzt auch noch durch die akute Gefahr des militärisch-atomaren Endes aller Zukunftshoffnungen.

Aber das wollen wir ja nicht. Irgendwo geht die Sonne am Morgen wieder auf. Die Hoffnung auf Erfindung der Zukunft aufzugeben ist dem Menschen einfach nicht erlaubt. Weitermachen, bis es hell wird.

Anleitung für eine Revolution

Heute erschien auf dem Substack von Milos Matuschek ein amüsanter Beitrag, aber nicht gedacht als Aprilscherz. Er meint es ernst: da der Systemcrash ja nun wirklich bald naht, liefert Matuschek aus aktuellem Anlass schnell noch eine Anleitung für eine Revolution.  Dass Bitcoins allerdings nicht taugen zum Basteln an einer Revolution, wie Matuschek zu glauben scheint, soll sich im Anschluss klären.

Matuschek fragt, ob wir nun in einer Tragödie, oder einer Kommödie leben, und sagt völlig zu Recht: es ist beides, und wir können nicht einmal mehr dazwischen unterscheiden. Wir leben in einer „Reality-Seifenoper mit flackernden medialen Bildern“, und sitzen – wir sind ja zahlende Gäste – in der ersten Reihe. „Allerdings können wir den Kanal nicht wechseln“, wie er sagt, und haben eigentlich auch kaum noch die Wahl, ob wir überhaupt ausschalten wollen.

Er sagt, das Programm das uns geliefert wird, ist nicht neu, aber: wir können uns immerhin selber eines basteln, und das besteht aus – Chaos und Verwirrung:

Man muss einfach nur die Welt als ihr Gegenteil darstellen, permanent und in lauten Tönen. Irgendwann weiß der Mensch nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Wer seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen kann, der lässt sich jedes Programm vorspielen.

Und das funktioniert, seit Orwells Neusprech: Krieg ist Frieden, Krankheit ist Gesundheit, Diktatur ist Demokratie; man muss Matuscheks Argumente nicht im Einzelnen wiederholen.

Wie er nun richtig erkennt, beherrscht das System nur diesen einen Trick: Chaos und Verwirrung erzeugen. Aber, wie er sagt, gibt es hinter dem Chaos eine geschickt getarnte Ordnung, und in der passiert immer das Gleiche:

Es gibt gerade viele selbstverschuldete, selbstherbeigeführte und selbstverantwortete Krisen. Doch immer passiert dabei das Gleiche. Es gibt für alles Schlimme in der Welt nur ein Mittel: Mehr Geld. Klimakrise? Geld drucken. Corona? Die größte Gelddruckorgie der Welt. Krieg? Die klassische Gelddruckmaschine. Das System beherrscht nur einen Trick, aber den dann doch so gut, dass ihn alle glauben.

Klar ist also, dass den Trick alle glauben. Und: der Systemcrash ist wirklich nah, Beleg: die jüngste Pleite der Credit Suisse, die sich vor ein paar Jahren niemand vortellen konnte. Wie Matuschek sagt:

Also, wenn im Herzen der Schweiz eine Großbank fällt, dann ist wirklich mal Alarm. Wer rettet am Ende die Retter?

Das Bilanzvolumen der UBS ist nun größer als das Sozialprodukt der ganzen Schweiz; wenn die UBS crasht, crasht auch die Schweiz.

Matuschek listet dann auf, woran das System krankt, und was genau das Kranke (und krank Machende) ist an diesem System. Es ist so: Die Worte selber stinken, die Wahrheit, die Standards, das Recht, die Maßstäbe verrotten und faulen.

Eine Gesellschaft kann aus den Fugen gebracht werden, wenn jeder Ordnungsmaßstab geopfert wird. „Noch 100 Jahre Zeitungen und alle Worte stinken“, prophezeite einmal Nietzsche. Inzwischen sind die 100 Jahre längst rum und die Massen-Desinformation findet in den „Qualitätsmedien“ statt. Die richtige Information ist verwässert, ebenso die Aussagekraft von Diplomen, die Qualität der Forschung oder der Wert des Geldes.

Das ist vollkommen richtig. Was den Wert des Geldes angeht: natürlich ist der Wert des Geldes aufgebläht, für alle; es besteht zum großen Teil aus heißer Luft, aus Gewinnerwartungen und spekulativen Buchwerten.

Aber Matuschek scheint nun zu glauben, das Aufblähen des Geldes sei schon das Problem, und die Lösung wären vielleicht Bitcoins. Was wäre aber, wenn der Wert des Geldes echt wäre, und nicht so sehr aus heißer Luft bestünde? Das Problem: wäre das Geld auch überall echt, und nicht aufgebläht, bliebe das meiste trotzdem in den Taschen einer winzigen Zahl von Superreichen. Und was den Wert des Geldes angeht: einer, der sich wirklich damit auskennt, der Banker J. P. Morgan, Mitgründer der FED, sagte dazu: „Nur Gold ist Geld, alles andere ist Kredit“. Das wirkliche Problem liegt also (auch) in der Konzentration des Geldes, sei es aus Gold oder aus Papier.

Also, angenommen, es gibt nur echtes Geld, und auch keine Bitcoins: der Systemcrash ist trotzdem beschlossene Sache: Was tun Sie? Herr Matuschek?

Ja – da ist offenbar guter Rat teuer, und die Verwirrung ist – und bleibt – groß.

Aber zunächst dazu: Wie konnte die Verwirrung überhaupt so groß werden? Wie kam es, dass trotz (und vielleicht wegen …) aller Verwirrung immer nur diese eine Melodie gespielt wird – die nur die wenigen Reichen immer reicher macht?  Und dann auch noch (mit deutlichem Vorteil) besonders die Reichen im Wohnsitz in den USA?

Achtung Achtung: sehr gefälschte Texte

Hin und wieder taucht ja das Geraune auf von den Protokollen der Weisen von Zion. Niemand kennt sie, niemand hat sie je gelesen, niemand weiß was drin steht, und jeder weiß dass es sich bei diesen Texten um Fälschungen handelt. Aber irgendwie müssen diese Texte ja in die Welt geraten sein; dass es sie überhaupt gibt, bestreitet ja niemand.

Wer solche Texte verfasst, muss sich auch etwas dabei gedacht, und etwas damit bezweckt haben. Dass die dabei verfolgte Absicht schlecht ist – geschenkt, das bezweifelt ja niemand. Die nächstliegende Vermutung über die Gründe: Täuschungsabsicht, und die Absicht, zu verwirren. Das passt aber doch erstaunlich zu der Verwirrung, in der die Welt sich befindet.

In diesen Texten, den „Protokollen“, wird jedenfalls ziemlich genau beschrieben, wie jemand vorgehen würde, der solche Verwirrung stiften will. Da steht zum Beispiel in einem der (so genannten) „Briefe“:

Die Hauptaufgabe unserer Verwaltung besteht darin, die öffentliche Meinung durch eine zersetzende Beurteilung aller Vorgänge in ihrer Widerstandskraft zu lähmen, den Menschen das eigene Denken, das sich gegen uns aufbäumen könnte, abzugewöhnen, und die vorhandenen Geisteskräfte auf bloße Spiegelfechtereien einer hohlen Redekunst abzulenken.

Also: Zersetzung der öffentlichen Meinung, den Menschen das eigene Denken abgewöhnen .. Wer auch immer so etwa im Schilde führt, macht sich doch jedenfalls verdächtig, so etwas zu beabsichtigen. In einem anderen „Brief“ heißt es :

Um die öffentliche Meinung zu beherrschen, müssen wir Zweifel und Zwietracht säen, indem wir von den verschiedensten Seiten so lange einander widersprechende Ansichten äußern lassen, bis die Nichtjuden sich in dem Wirrsale nicht mehr zurecht finden und zu der Überzeugung kommen, daß es am besten sei, in staatsrechtlichen Fragen überhaupt keine Meinung zu haben, da dem Volke in diesen Dingen der nötige Überblick fehle, und nur Derjenige sie wirklich überschauen könne, der das Volk selbst leitet. Das ist unser erstes Geheimnis!

… Öffentliche Meinung beherrschen, Zweifel und Zwietracht säen, einander widersprechende Ansichten äußern … Also, die unbekannten Autoren der gefälschten „Protokolle“ sind es dann ja nicht, die so etwas äußern, aber an der Wirkung gemessen, an der gestifteten Verirrung, war da jemand offenbar ganz  erfolgreich. Wer könnte es ein, der sich so etwa tatsächlich ausdenkt? In unserer Gegenwart, vor aller Augen sozusagen?

Dann kommt die Sache mit den stinkenden Worten, den Ordnungsmaßstäben und der richtigen Information;

Das zweite, für den Erfolg unserer Sache nicht minder wichtige Geheimnis besteht darin, die Fehler und Gebrechen des Volkes möglichst zu vermehren. Alle schlechten Gewohnheiten, Leidenschaften, alle Regeln des geselligen Verkehrs müssen derart auf die Spitze getrieben werden, daß sich Niemand in dem tollen Durcheinander mehr zurecht finden kann, und die Menschen aufhören, einander zu verstehen. Auf diese Weise wird es uns leicht sein, Zwietracht in allen Parteien zu säen, jede Sammlung von Kräften, die sich uns noch nicht unterwerfen wollen, zu verhindern und jede persönliche Tatkraft, die unsere Sache irgend wie stören könnte, von vorn herein zu entmutigen.

Und dann kommt es ganz dick, zur Bedeutung der „achten Großmacht“, der Presse:

Als Mittel dazu werden wir die öffentliche Meinung vorschützen, die wir insgeheim durch die sogenannte achte Großmacht – die Presse – in unserem Sinne bearbeitet haben. Mit ganz wenigen Ausnahmen, die überhaupt nicht in Frage kommen, liegt die ganze Presse in unseren Händen.

So. Dass „die Presse“, die Medien, ob privat oder öffentlich-rechtlich, inzwischen ziemlich komplett und widerstandslos in irgendjemandes Händen liegen, wird schwerlich noch von ernst zunehmender Seite bestritten werden können. Das zeigen sowohl die Erfahrung, als auch einfach die Zahlen, die geschaffenen Eigentumsverhältnisse in der auf wenige beherrschende Medien konzentrierten Presselandschaft. Diese ominösen Verfasser der, wie man ja weiß, gefälschten „Protokolle“ waren es also nicht, die die Presse in diesem Sinne bearbeitet haben, aber wer dann?

Das soll als kleine spekulative Reflexion über die gestiftete Verwirrung in der öffentlichen Meinung und deren gestörte Urteilsfähigkeit reichen; und vor allem soll natürlich niemand verdächtigt werden, das wäre natürlich überhaupt nicht die Absicht. Nur: die Verwirrung ist da, und da muss die Frage erlaubt sein, wer sie denn wohl gestiftet hat. Und zu diesen Protokollen: von wem auch immer sie stammen – wer so etwas geschrieben hat, wusste über Mittel und Wege zur Stiftung von Verwirrung wohl recht gut Bescheid.

Zum Schluss noch ein Satz aus diesem Texten, über „Hochgeister unter den Staatsmännern“: Die Autoren dieser Protokolle, wer auch immer sie sind und was auch immer sie beabsichtigten, haben (diesen Texten zufolge) ein Faible für von „Staatsmännern geschickt ausgeführte Gaunerstreiche“:

Das Volk liebt und verehrt die Hochgeister unter den Staatsmännern; es beurteilt ihre Vergewaltigungen in folgender Weise: „Das war niederträchtig, aber sehr geschickt! Ein Gaunerstreich, aber großartig ausgeführt! Mit welcher Frechheit!“

Welches Volk da gemeint ist – niemand weiß es.

Vor einiger Zeit gab es einen Streich, von dem man nicht weiß, wer ihn ausgeführt hat, aber immerhin so geschickt dass klar ist wer von diesem Streich einen enormen Vorteil hatte: das war der Streich der gesprengten Gas-Pipelines durch die Nordsee. Ein Staatsmann mit Namen Antony Blinken schrieb ganz stolz, dass dieser Streich seinem Volk, den USA, „tremendous opportunities“ bescheren werde. Als der Streich dann ausgeführt war, konnte immerhin – bisher – noch niemand nachweisen, dass es ein „Streich“ der USA war, der da in den Tiefen der Nordee großartig ausgeführt worden ist.

Nun – vielleicht war das so ein Fall: „Ein Gaunerstreich, aber großartig ausgeführt! Mit welcher Frechheit“! Aber, wie gesagt, diese Protokolle gibt es nicht. Um Himmels Willen – wer würde so etwas denken.

Bitcoin und Revolution

Nach der langen Vorrede nun zur Hauptsache. Die Welt rätselt nun immer verzweifelter, wa zu tun ist, wenn der Systemcrash beschlossene Sache ist. Tatsächlich rätselt die Welt seit mindestens 40 Jahren, vielleicht sind es 50, sie hätte aber in jedem Fall schon vor 50 Jahren anfangen können nach der Lösung zu suchen, oder besser, sich um die Lösung zu kümmern. Denn im Prinzip ist die Lösung klar: wenn das Geld, die Marxsche „riesige Warensammlung“ zu groß geworden ist, um von der Vernunft, von der Wissenschaft, von der (echten) Vierten Gewalt und der demokratischen Politik beherrscht zu werden, dann – ja dann muss die Staatsmacht einschreiten. Als das im Laufe der kapitalistischen Geschichte einige Male vorgekomen ist, mit Erfolg damals beim „New Deal“ Roosevelts, ist die Staatsmacht eingeschritten, hat die Macht des Kapitals erfolgreich beschnitten, und hat die nächste Phase der (dann wieder erfolgreichen) kapitalistischen Expansion eingeläutet. Aber das wird und kann nicht ewig so weitergehen.

Was dann? Dann muss – die Staatsmacht engültig einschreiten. Dann muss, wie große Staatsmänner und Ökonomen längst wussten, das (zu) groß gewordene Kapital in öffentliche, staatliche Hände übergehen.  Nichts andere ist dann noch möglich, und erst recht keine Bitcoins aus der Rechenmaschine.

Das hätte etwa ab Mitte der 1970er Jahre in die Weg geleitet werden können – und müssen. Dann hätte auch noch niemand eine Anleitung zu einer Revolution benötigt.

Aber jetzt sind die Dinge seit mindestens 40 Jahren in die falsche Richtung gelaufen. Was sich jetzt gebildet hat, das kennt man unter dem Namen Klumpenrisiko. Inzwischen ist der Klumpen so groß und das an seiner Existenz hängende Risko, dass das Risiko des Ausbruchs des Dritten Weltkriegs sich in etwa der gleichen Größenordnung bewegt, ebenso wie der Crash, der mit dem Crash der UBS und der Schweiz beginnen könnte, und mit dem endgültigen Umkippen des Klimas.

Die gestiftete Verwirrung hält derweil an, und dass noch immer das Gleiche passiert, hält auch an: das Geld fließt immer weiter in die gleiche Richtung, einige (sehr) wenige werden immer reicher, und einige (sehr) viele werden immer ärmer. Mehr wird das (aufgeblähte oder echte) Kapital, das Gold, und auf der anderen Seite die Schulden.

Jetzt hilft wirklich nur noch eine – ziemlich donnernde – Revolution. Beginnen müsste sie damit, dass die öffentliche Meinung erwacht, dass man sich auf das Recht und die Wissenschaft besinnt, und auf all das, was die Kulturgeschichte den Menschen eigentlich als Geschenk hinterlassen hat. Und die Demokratie.

Dazu sind Worte da, geprochen und gedacht zu werden, und ehrlich gemeint zu  sein. Und darum müssen sie aufhören, zu stinken.

Und dann: Anleitung zur Revolution.

Wir schlagen auf: Erstes Kapitel .

 

 

 

 

Das Narrativ des Westens, Kriegsgefahr und die Mauer der Geheimhaltung

Jeffrey D. Sachs, lange Jahre Ökonomie-Professor an der Harvard-Universität und ab 2002 Professor für nachhaltige Entwicklung und Gesundheitspolitik und Direktor des Earth Institute an der Columbia Universität, hat sich kürzlich mit mahnenden und eindringlichen Worten an die Öffentlichkeit gewandt. Sachs sieht die Welt – nicht nur wegen des anhaltenden Beschusses des Kernkraftwerks Saporischschja  – am Rand einer nuklearen Katastrophe, die sich über die Gefahr einer atomaren Verseuchung weiter Gebiete zwischen Russland und Polen hinaus zu einem Atomkrieg auswachsen könnte. Hervorgerufen sieht Sachs diese Gefahr vor allem dadurch, dass „die politischen Führer des Westens es versäumt haben, die Ursachen der eskalierenden globalen Konflikte offen zu benennen. Das unerbittliche westliche Narrativ, dass der Westen edel sei, während Russland und China böse sind, ist einfältig und außerordentlich gefährlich. Es ist ein Versuch, die öffentliche Meinung zu manipulieren und nicht, sich mit der sehr realen und dringenden Diplomatie zu befassen.“ (in der Übersetzung von Telepolis).

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Kann Anpassung eine emanzipatorische Praxis sein?

Phillip Staab, seit Februar 2019 Soziologie-Professor für das Gebiet „Soziologie der Zukunft der Arbeit“ an der Humboldt-Universität Berlin, hat ein neues Buch geschrieben, das im Oktober im Suhrkamp-Verlag erscheinen wird, und zwar unter dem Titel: „Anpassung. Leitmotiv der nächsten Gesellschaft.“

Kann Anpassung ein Leitmotiv für die nächste Gesellschaft sein?

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Der letzte Präsident der „Freien Nation“

Es sind zwei Reden des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, die den Hass und den Vernichtungs- und Rachewillen der gegen ihn verschworenen vielgestaltigen dunklen Mächte wohl besonders heraufbeschworen haben: einmal die Rede mit dem Titel „The President and the Press: Address before the American Newspaper Publishers Association“, die er am 27. April 1961 hielt, und die Rede vor der American University am 10.Juni 1963, also nur wenige Monate vor seiner Ermordung am 22. November 1963 in Dallas.

Diese beiden Reden adressieren absolut zentrale Aspekte dessen, was ein demokratisches modernes Staatswesen mit freier Presse, freien, gebildeten, unabhängigen und friedliebenden Bürgern ausmacht – wenn es ein solches intaktes Staatswesen tatsächlich gäbe.

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Regimechange in Russland?

Der bekannte russische Unternehmer und Milliardär Oleg Deripaska hat sich kürzlich recht kritisch über das russische Vorgehen seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine geäußert. Anlass war ein Vortrag Deripaskas an einer Moskauer Universität.

Im Folgenden soll es um die Frage gehen, ob a) ein Regimechange in Russland möglich, wahrscheinlich oder sinnvoll wäre, und b) welche Art von Regimechange denn in der „westlichen“ Welt möglich, wahrscheinlich und sinnvoll wäre  (wie bereits im vorletzten Beitrag erörtert).

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Paul Mason im Reich der Asow-Untoten

Masons Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 22.5. ist eine Replik auf Habermas und dessen Debattenbeitrag zum Thema Ukraine-Krieg, womit der sich auf die Seite der Befürworter von Friedensverhandlungen stellt. Die Kritiker dieser Haltung spechen sich für eine Fortsetzung bzw. Intensivierung des militärischen Engagements aus. Die eine Seite sieht alle möglichen Diskussionen von Verhandlungslösungen also bestimmt durch das Faktum, dass Russland über Atomwaffen verfügt, während die andere Seite meint, diese Tatsache dürfe nicht so verstanden werden, dass man sich dem Willen der Atommacht Russland ohne Widerstand fügt.

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Warum vernünftige Freiheit unmöglich ist, solange die Vernunft schläft (erschienen auf Telepolis)

Der letzte große deutschsprachige Philosoph mit weltweiter Reputation, Jürgen Habermas, sieht in seinem großen Alterswerk „Auch eine Geschichte der Philosophie“ die Welt durch die in ihm beschriebene Entwicklungsgeschichte des Denkens hindurch auf dem Wege zu vernünftiger Freiheit. Weil philosophische Beschreibungen immer auch normative Beschreibungen der Geschichte und ihres Zieles sind, also solche, die – im Gegensatz zur bloßen Erbsenzählerei des jeweils historisch Vorfindbaren, des Kontingenten, bloß Faktischen – Aussagen darüber zu machen beanspruchen, wohin die Entwicklungsgeschichte des Denkens die Menschen und ihre Lebenswelt führen soll, sagt Habermas damit, dass die Geschichte vernünftigerweise zu vernünftiger Freiheit führen soll. Diese Beschreibung enthält somit auch einen Gestaltungsauftrag an die – vernunftbegabte – Menschheit. „Warum vernünftige Freiheit unmöglich ist, solange die Vernunft schläft (erschienen auf Telepolis)“ weiterlesen