Was ist eine regulative Idee? Eingeführt hat den Begriff Immanuel Kant, und gemeint ist damit eine Idee, eine Vorstellung, die gewissermassen Richtung weisend ist, aber ein im geschichtlichen Raum nicht vollständig erreichbares oder realisierbares Ziel darstellt; man kann auch sagen sie ist ein Ideal, so wie die geometrischen Figuren (Kreis, ausdehnungsloser Punkt, unendliche Gerade) nicht vollkommen realisierbar sind; im Bereich des Gesellschaftlichen wäre das der “ewige Friede” Kants, oder später die Vorstellung der “idealen Kommunikationsgemeinschaft” der Diskursethik.
In der Ökonomie wäre dies die Vorstellung der Pareto-Optimalität. Pareto-Optimalität ist also die Beschreibung eines “idealen” Zustandes einer Volkswirtschaft. Dieser Zustand ist so definiert: die Produktionsfaktoren sind einer optimalen Verwendung zugeführt, und das ist dann der Fall, wenn 1) ein Individuum genau die Güter konsumiert, durch die sein Nutzen maximal wird (Tauschoptimum), und 2) die Grenzproduktivitäten der eingesetzten Faktoren gleich sind (optimaler Faktoreinsatz), wodurch sichergestellt ist, dass die größte mögliche Gütermenge erzeugt wird.
Als regulative Idee leitet sich daraus ab: die Ökonomie soll so eingerichtet sein, dass die grösste mögliche Gütermenge erzeugt wird, und jedes Individuum soll in die Lage versetzt werden, die ihm maximalen Nutzen stiftenden Güter zu konsumieren. Die grösste mögliche Gütermenge ist in dieser Beschreibung natürlich kein statischer Begriff: die bezogen auf die Grenzproduktivitäten der eingesetzten Produktionsfaktoren grösste mögliche Gütermenge ist natürlich gemeint, und wenn – etwa durch technischen Fortschritt – die Produktivitäten der Faktoren steigen, soll auch die erzeugte Gütermenge steigen. Für diese gesamte volkswirtschaftlich erzeugte Gütermenge ist in keiner volkswirtschaftlichen Theorie eine absolute fixe Obergrenze definiert – implizit wird angenommen, dass diese Gütermenge ad infinitum wachsen soll. Jedenfalls ist so eine Beschreibung einer Obergrenze der ökonomischen Theorie bis dato insoweit extern.
Wenn es eine solche Grenze aber doch gibt? Eine Grenze des gesamtwirtschaftlichen Produkts, das sich daraus ergäbe, dass – nach dem Ersten Gossenschen Gesetz – der Gesamtnutzen eines Gutes mit jeder zusätzlich konsumierten Einheit abnimmt, bis der Bedarf an diesem Gut als gesättigt betrachtet werden kann, durch den Konsum einer zusätzlichen Einheit dieses Gutes also kein Nutzenzuwachs mehr realisierbar ist. Wenn man annimmt, dass ganze Volkswirtschaften in ein Stadium geraten können, in dem die gesamte Nachfrage sättigungsbedingt sich auf ein Niveau unterhalb der Produktionsmöglichkeiten bei Vollbeschäftigung zu bewegt – dann liesse sich so eine Grenze jedenfalls in ganz groben Umrissen möglicherweise empirisch erheben. Das würde dann zur Folge haben, dass die vorhandenen Produktionsfaktoren – und darunter die menschliche Arbeit – nicht mehr optimal beschäftigt werden können. Darauf haben bestehende ökonomische Modelle bislang leider keine überzeugende Antwort.
Es gibt eine wichtige Voraussetzung für dieses Verständnis vom Optimum eines volkswirtschaftlichen Zustandes: nämlich die, dass Produkt und Konsument über den Markt zueinander finden, dass sie also vor der Entstehung des Produktes noch gar nicht voneinander wissen, also dieses Produkt für den anonymen Marktabnehmer gefertigt wird, und der Abnehmer dieses Produkt auf einem freien Markt zu einem frei am Markt gebildeten Preis kauft; die freie Preisbildung spielt unter diesen Voraussetzungen als Steuerungsinstrument von Güter- und Faktorallokation offensichtlich eine zentrale Rolle.
Es gehen in diese Annahme – dass Güter und Faktoren über den Markt allokiert werden müssen – bestimmte Annahmen bezüglich der technischen Beschaffenheit der Produktionsfaktoren ein, nämlich die, dass die Produktivitäten der Faktoren a) notwendig begrenzt sind, und b) dass zur Steigerung der Produktivitäten Spezialisierungen der Produktionsfaktoren notwendig sind, zum einen im Sinne von Professionalisierung der Arbeit, und zum anderen von Spezialisierung der Verfahren und der Anlagen und Maschinen. Wenn nun aber technische Möglichkeiten entstehen, die es erlauben würden, auf diese Spezialisierungen zu verzichten? Also Produktionsmittel, die in diesem Sinne universale Produktionsmöglichkeiten bieten? Wenn es möglich ist auf Produktionsfaktoren zuzugreifen, auf Produktionsmittel, die die technische Kapazität besitzen, das gesamte für einen Konsumenten optimal nutzenstiftende Güterbündel herzustellen, und sich dann noch im Besitz des Konsumenten befinden, dann – stünde gewissermassen die gesamte bisherige wunderbar mathematisch modellierte ökonomische Gleichgewichtstheorie auf dem Kopf.
Es ist nun ja so, dass derartige Universale Fabrikationsmaschinen sich in der Entwicklung befinden, und nach einigen optimistischen Schätzungen könnte damit zu rechnen sein, dass innerhalb der nächsten zwanzig Jahre ein Stadium erreicht wird, in dem diese Maschinen die Kapazitäten des sog. Star-Trek-Replicators erreichen: sie können beliebige physische Gegenstände replizieren, also kopieren, einschliesslich einer Kopie von sich selbst.
Kann man das nun mal einfach glauben? Man kann es – das wäre sehr unwissenschaftlich! – nun sicher nicht einfach glauben. Aber: man sollte a) schon zur Kenntnis nehmen, dass es gegenwärtig eine Forschung und Entwicklung derartiger Universaler Fabrikationsmaschinen gibt, und b) sollte man auch zur Kenntnis nehmen, dass die Entwicklung derartiger universaler Fabrikationsmaschinen vernünftig ist, rational: die reale Entwicklung der Technik auf der einen Seite, und die reale Entwicklung der Ökonomie auf der anderen Seite (eben Sättigung vieler Märkte, keine Absatzchancen für Massenprodukte) zwingt geradezu dazu, Produktionsprozesse in diese Richtung weiterzuentwickeln, also sie mehr und mehr zu flexibilisieren, und immer mehr in Richtung des Konsumenten zu verlagern sozusagen, die Bindung zwischen Produzent und Konsument immer enger zu gestalten. Das Maximum oder Optimum einer solchen Entwicklung sind offensichtlich Fabrikationsmaschinen, die vollkommen universal fabrikationsfähig sind, und die sich direkt im Zugriff des Konsumenten befinden, die es also erlauben würden, dem Konsumenten jederzeit genau dieses ihm seinen maximalen Nutzen stiftende Güterbündel herzustellen.
Also: als regulative Idee sollte die Ökonomie derartige Produktionssysteme durchaus einmal in ihre Modellbildung aufnehmen. Dann gelangte man zu einer ganz anderen Beschreibung des Pareto-Optimums (das dann auch nicht mehr unbedingt Pareto-Optimum heissen müsste): nämlich zu a) Tauschoptimum, b) optimalem Faktoreinsatz, und c) minimalem Arbeitseinsatz. Also: optimale Versorgung, aber ohne menschliche Arbeit!
Das wäre nun neu in der menschlichen Geschichte. Richtig ist, dass marxistisch dergleichen ja durchaus auch angedacht worden ist, wenn man das so sagen kann, bei marxistischen Ökonomen wie Ernest Mandel jedenfalls gab es die Vorstellung von “Parks von automatischen Maschinen”, in genügendem Umfang, um den gesamten Bedarf einer Volkswirtschaft zu decken. Das hat sich so – genau so – offenbar nicht erfüllt. Diese Idee aber nun – kleine, universale Fabriken – war damals, bevor sie dann tatsächlich entstanden, nicht vorstellbar. Diese Maschinen, genau diese Technik, ist aber offensichtlich der Schlüssel, die kapitalistische Warenproduktion in diesem Sinne – jedenfalls als regulative Idee – zu überwinden.
Die Ökonomie hätte hinreichenden Anlass, diese technischen Entwicklungen nun auch genügend zur Kenntnis zu nehmen.