In Kapstadt könnten ab April die Wasserhähne abgedreht werden. Kein Wasser mehr aus den Leitungen, sondern Abgabe von 25 Liter Wasser pro Tag an Notausgaben.
Das dürfte unangenehmer sein als der Wasserüberfluss, den die Deutschen, vor allem im Norden, gerade erleben. Hier ist es nur nass und dunkel, der dunkelste Dezember und Januar seit 1951.
Aber das Jahr 2017 hat deutlich unangenehmere Wetterereignisse beschert, auf der Welt. Die Statistik der Münchner Rück weist einen immer weiter steigenden Trend zu relevanten Schaden verursachenden Naturereignissen auf.
Derweil sitzen in Berlin die zu ihrem Glück gezwungenen Koalitionäre, und denken darüber nach, welche Pläne sie schmieden können, damit Angela Merkel am Ende der Periode wieder sagen kann: Uns geht es gut! Die Klimaziele für 2020 waren da in den Sondierungsgesprächen schon gekippt.
Wann geht es uns gut?
Gestern abend war der Aachener Professor für Produktionstechnik Günter Schuh bei Markus Lanz zu Gast. Ihm geht es gut, denn er hat es geschafft, ein E-Mobil zu entwickeln, dafür eine Fabrik auf die Beine zu stellen, und am Ende sein E-Mobil mitsamt Fabrik an die Post zu verkaufen, die mit diesen E-Mobilen nun ihre Post austragen lässt. Eine tolle Geschichte, und allen geht es dabei gut: Professor Schuh, der ein gutes Geschäft gemacht hat, der Post, die nun ihre E-Mobile hat, die sie von der Automobilindustrie nicht bekommen konnte, und der Umwelt, weil in den Städten nun emissionsfreie Postautos ihre Strecken fahren. Insgesamt also offensichtlich eine Erfolgsgeschichte der freien Marktwirtschaft, die privatisierte Post kümmert sich um die Umwelt, und der beamtete Professor Schuh konnte erst als nebenberuflicher Privatunternehmer richtig zu Form auflaufen. Er steht unter Strom, und kann sogar der Autoindustrie Konkurrenz machen.
Wie kann ein 120-Mann-Unternehmen der 800.000-Mann-Autoindustrie Konkurrenz machen?
Bevor es an die wirklich wichtigen Fragen geht, kann man einmal fragen, wie es möglich ist, dass eine praktisch aus dem Boden gestampfte winzig kleine Automobilfabrik mit 120 Beschäftigten der riesigen deutschen Automobilindustrie mit ihren insgesamt rund 800.000 Beschäftigten Konkurrenz machen kann. Wieso kann diese kleine Firma, fast ohne spezifisches Know-How und gesammelte Erfahrungen, gegen die über 100 Jahre alte Automobilindustrie erfolgreich sein? Schuh hat bei Lanz erklärt, dass die Automobilindusitre dieses Geschäft mit den E-Mobilen gar nicht machen wollte. Da winkten zu geringe Profite. Das kann sein, das erklärt aber noch nicht, warum Schuh als beamteter Professor es dann doch geschafft hat. Die Gründe sind zweifach: er greift auf Standardkomponenten der Industrie zurück, Motor, Batterien und Getriebe, und die Teile, die er selber bauen muss, kommen aus dem 3D-Drucker. So spart er sich ein Presswerk für die Blechteile, und eine Lackiererei. Und: die Anzahl der Einzelteile ist viel geringer, weil viele Komponenten in einem Stück gefertigt werden können, es kann also auch bei der Montage gespart werden. Komischerweise war von diesem Umstand gar nicht mehr die Rede, sondern nur davon, dass dieses Auto ein Kunststoffauto ist, ein „Leukoplastbomber“, wie der selige Lloyd LP 300 des Bremer Unternehmers Borgward in den 1950er Jahren.
Aber siehe da, mit dieser Produktionstechnik ist es auch möglich, dass nun die Post, nicht gerade branchenverwandt mit der Automobilindustrie, zum Automobilhersteller wird. Ein interessanter Nebenaspekt, den man sich noch einmal genauer anschauen muss.
Was macht derweil die alte Automobilindustrie? Blendende Geschäfte. Die Menschen kaufen Autos wie verrückt. Auch Günter Schuh kauft sein Auto bei der Automobilindustrie, einen Porsche Panamera mit Hybridantrieb, immerhin. Aber die üppig steigenden Umsätze der Automobilindustrie, deren Ressourcenverbrauch bei der Herstellung, und die bei der Nutzung ihrer Erzeugnisse entstehende Umweltbelastung machen den positiven Effekt der E-Mobile der Post dreimal wett. Und so kommt es, dass die Klimaziele für 2020 mal eben – gekippt werden mussten. Die Geschichte von Professor Schuh taugt nur als schöne Geschichte vom umweltbewussten Unternehmer, der reich und glücklich geworden ist mit guten Taten, und sich um den Rest der Welt nun ab sofort keine weiterführenden Gedanken mehr machen muss.
Uns geht es gut! Wir haben an sich keine Sorgen.
Sorgen ganz besonderer Art, aber sicher sehr bedrückend, musste sich der Starinvestor Warren Buffett im letzten Sommer machen. Es hat zu viel Geld. „Der Starinvestor sitzt auf knapp 100 Milliarden Euro Barreserven, weil er derzeit kein lukratives Investment findet.“ Das sind Nöte, das kann man sich kaum ausmalen. Die Zeiten für diese Branche sind hart geworden, da herrscht echte Not: „Das Geld arbeiten zu lassen, das wäre toll“, sagt David Rolfe, Investmentchef bei Wedgewood Partners. Der Vermögensverwalter kümmert sich um rund sechs Milliarden Dollar, darunter auch Berkshire-Aktien. Aber die „Liste der Unternehmen, die er gerne besitzen würde, ist äußerst kurz“. Man muss sich das etwa so vorstellen wie bei einem Obdachlosen, der über die Bahnsteige der Bahnhöfe wandert, und die Mülltonnen nach Verwertbarem absucht. Und er stellt fest: Die Liste der Mülltonnen, wo sich etwas Verwertbares finden lässt, ist äusserst kurz. So etwa müssen sich diese Investoren fühlen. Schrecklich.
Und man ahnt nicht, vie viele es von diesen armen Menschen gibt, die von diesen Nöten geplagt sind. Alleine in Deutschland besitzen diese Menschen nunmehr fast 6 Billionen Euro Barvermögen, und sie wissen nicht wohin damit! Das ist wirklich hart, und die Politik ist gefordert, diese Not ein wenig zu lindern. Die Privatisierung der Autobahnen etwa würde wenigstens für die ärgsten Nöte ein wenig Abhilfe schaffen. Wo doch die Europäische Zentralbank weiterhin die Impertinenz und Bosheit besitzt, die Zinsen nicht erhöhen zu wollen. Dabei wäre es doch fast ein Menschenrecht, ein wenigstens kleines Zinseinkommen von sagen wir 3 Prozent zu erhalten, so als bedingungsloses Grundeinkommen… das wollen andere doch auch.
Ironie-Modus off. Diese Geschichte von Schuh und der Post muss man also im grösseren Rahmen sehen. Es ist gut, dass E-Mobile entstanden sind, und es ist gut, dass die Post sie nutzt. Aber es ist schlecht, dass dies alles unter der Regie der Kapitalmärkte geschieht. Das grosse Bild der Wirtschaft und der Ökologie, echte Not leidende Menschen und eine mehr und mehr bedrohlich werdende Lage der Ökologie, ändert sich dadurch nicht.
Dazu müsste viel mehr passieren, und wie wäre dies möglich – dadurch, dass die Wirtschaft in viel größerem Umfang den Imperativen der Kapitalmärkte entflieht. Die Zeiten für Warren Buffet und seinesgleichen könnten dann in der Tat richtig hart werden, bitterste Investoren-Not, aber die Nöte der Menschen, die nichts haben zum Überleben, und die der jetzigen und zukünftigen Generationen, die in einer unversehrten und entwicklungsfähigen Lebenswelt leben wollen, müsste man – mit Vernunft – dann doch höher bewerten.
Wie könnte das aber geschehen? Diese Geschichte mit dem E-Mobil und der Post liefert das beste Beispiel. Das E-Mobil ist an einer staatlichen Hochschule entstanden, es waren Professoren, die an staatlichen Hochschulen ausgebildet worden sind und später auf das Know-How zugegriffen haben, das an einer staatlichen Hochschule geschaffen und durch Forschungen hervorgebracht wird. Die Firma, die dann gegründet worden ist, hätte auch eine mit öffentlicher Beteiligung sein können, und die Post – war einmal ein staatliches Unternehmen. Die Tatsache, dass die privatisierte Post möglicherweise in einigen Bereichen effizientere Abläufe geschaffen hat und auf dem Weltmarkt in einigen Fällen erfolgreich aktiv ist, wiegt die Tatsache nicht auf, dass die gesamtwirtschaftliche Stabilität, die durch ein staatliches Unternehmen dieser Grössenordnung mit seinen sicheren Arbeitsplätzen und sicheren und planbaren Lebensentwürfen möglich ist, mit der Privatisierung prinzipiell aufgegeben worden ist. Und wäre die Post ein staatliches Unternehmen geblieben, wäre auch die Produktion der „E-Scooter“ bei einem staatlichen Unternehmen – es würde rein gar nichts dagegen sprechen. Professor Schuh und sein Team könnten weiterhin damit beauftragt sein, die E-Scooter zu verbessern und weiterzuentwickeln, und die Privatwirtschaft würde in dem ganzen Ablauf keine Rolle spielen. Natürlich auch ihre Not mit den fehlenden Invesitionsmöglichkeiten nicht lindern können – eben das wäre das Gute daran, aus Sicht der gesamtwirtschaftlichen Situation.
Vernunft ist die Fähigkeit, einen kompletten Verursachungszusammenhang in den Blick zu nehmen, und ihn in einem übergeordneten Interesse zu gestalten. Ein übergeordnetes Interesse ist ein überparteiliches Interesse, und ein überzeitliches Interesse. Es ist ein Blick auf das Grosse Ganze, jetzt und in Zukunft, wie es im Interesse eines überprivaten Subjekts, im allgemeinen Menscheninteresse gestaltet sein sollte. Diese Fähigkeit ist verloren gegangen, in der Politik, in den Medien, in der Kultur. Wir erleben ein jammervolles Gezänk um winzigste und belangloseste Interessen und Themen, um Scheindebatten, in denen es nur um den schnellen und schnell verfliegenden Aufmerksamkeitswert geht, einmal schnell und kurz und grell im Scheinwerferlicht stehen, mit der Meinung möglichst nahe im breiten Mainstream bleiben, um möglichst viele „Likes“ einheimsen zu können, und wieder weiterziehen zum nächsten Aufreger, möglichst grell, sensationsheischend und gerne ekelerregend, wie eben in der von der Masse mit Vorliebe konsumierten Kirmesbudenshow des Dschungelcamp, und dergleichen Schundkultur mehr.
Bei einer Sonnenfinsternis weiss man seit Kepler und Newton auf die Sekunde genau, wie lange sie anhalten wird. Bei der Vernunftfinsternis, die sich vor unseren Augen abspielt, weiss es kein Mensch.
Zum Schluss ein kleiner Lichtblick am verdunkelten Horizont der Vernunft: ein Buch über digitale Fabrikation, zu dem Professor Schuh das Vorwort geschrieben hat, mit einem Aufsatz von mir über eine gesuchte neue ökonomische Ordnung. Warum ausgerechnet diese digitale Fabrikation aus dem Jammertal des von den Kapitalinvestoren beherrschten Spätkapitalismus herausführen kann, versteht leider auch Professor Schuh nicht. Aber ich.