BWL contra VWL

Wenn etwas betriebswirtschaftlich richtig ist, ist es volkswirtschaftlich oft falsch, und anders herum.

Eine private Rentenversicherung zum Beispiel mag betriebswirtschaftlich richtig sein. Menschen sparen jeder für sich, ganz privat, Geld an, und sorgen so für das Alter vor. Da Versicherungsgesellschaften sich damit auskennen, sammeln sie das Geld von vielen Sparern ein, und legen es gewinnbringend an, so dass jeder einzelne Sparer am Ende mehr zurück erhält, als wenn er sein Geld einfach in die Sparbüchse steckte. Und er erhält auch noch eine Rentengarantie, das heißt die private Rentenversicherung verspricht eine lebenslange Rentenzahlung, und geht das Risiko ein, einen Verlust zu erwirtschaften, wenn die zugesagte Rente zu hoch ist oder der Rentenbezieher länger lebt als kalkuliert.

Wenn sie scharf kalkuliert, und das Geld der – möglichst vielen – Sparer gut anlegt, können Versicherung und Sparer damit gut fahren.

Aber diese Wahrscheinlichkeit, dass das Geld gewinnbringend angelegt werden kann, nimmt ab, je reicher die Volkswirtschaften schon geworden sind. Und das ist es, was in den letzten 70 Jahren geschehen ist, und was die reichen Volkswirtschaften seit mindestens zwei Jahrzehnten nun immer deutlicher vor Augen haben.


Es ist im Grunde eine einfache Rechnung: es kommt auf das Verhältnis zwischen dem gesamten angesammelten Sparvermögen, und dem Bruttoinlandsprodukt einer Volkswirtschaft an. Wenn das Sparvermögen zu groß wird, kann die gesamte volkswirtschaftliche Leistung die kalkulierten Renditen der vielen Sparer nicht mehr erwirtschaften.

Man muss sich einmal folgende Zahlen vor Augen führen: 1990 betrug das Weltfinanzvermögen 56 Billionen US Dollar, und das Welt-BIP 23 Billionen US-Dollar. Das Verhältnis lag also etwa bei 1 : 2.4, und das Finanzvermögen war damit gut doppelt so groß wie das BIP. 2015 aber war das Weltfinanzvernögen auf 267 Billionen US-Dollar angewachsen, das Welt-BIP aber nur auf 73 Billionen US-Dollar. Das Verhältnis lag nun bei 1 : 3.66, schon fast dem Vierfachen des BIP. Und wenn man sich die Verhältnisse in einzelnen reichen Staaten anschaut, wird das alles viel krasser und extremer. Etwa das Buch „Wem gehört die Welt“ von Hans-Jürgen Jakobs, lange Zeit Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung und später Chefredakteur des Handelsblatt, ist hier ein Augenöffner.

An dem Punkt wird das, was betriebswirtschaftlich richtig ist, aus einer gesamtvolkswirtschaftlichen Sicht immer falscher, je weiter das Verhältnis zwischen Sparvermögen und BIP sich auseinanderentwickelt.

Richtiger wäre dann, was die Renten angeht, eine gesetzliche Rentenversicherung nach dem Umlageprinzip, wie es vor der Privatisierungswelle ja üblich war. Die eine junge Generation bezahlt der anderen älteren Generation ihre Renten. Dann spielen Renditen und Verzinsung und der Kapitalmarkt überhaupt keine Rolle. Es darf sich nur die Zahl der Rentenbezieher und der Einzahler nicht zu sehr auseinanderentwickeln.

Das allerdings wird mit zunehmendem Verschwinden der Vollzeitarbeitsplätze auch immer mehr der Fall sein. Was dann?

Auch mit Blick auf die Verteilung der Beschäftigung in einer Volkswirtschaft ist es so: was betriebswirtschaftlich richtig ist, ist volkswirtschaftlich gesehen falsch. Jeder einzelne Betrieb sichert seine Existenz und damit die Arbeitsplätze seiner Beschäftigten, indem er ein gutes Ergebnis erzielt. Das Ergebnis ist die Zahl, die in der Gewinn- und Verlustrechnung unten steht. Wenn die Einnahmen höher sind als die Ausgaben eines Jahres, dann steht unten eine schwarze Zahl. Wenn der Betrieb auf hohes Interesse trifft bei seinen Kunden, kann er seine Tätigkeit ausweiten, Mitarbeiter einstellen und, wenn er sonst alles richtig macht, seinen Gewinn steigern.

Bleibt die Nachfrage konstant, weil die Konkurrenz ja auch noch da ist und nicht schläft, wird der Betrieb schauen, wo er Kosten sparen kann. Oft fällt der Blick dann eben auf die Beschäftigten, die das meiste Geld kosten. Wenn möglich, werden welche entlassen, oder keine neuen eingestellt, wenn welche gehen.

Je mehr die Wirtschaft insgesamt schon reich und wohlhabend ist, kommt es nun mehr und mehr zu einem ganz typischen Geschehen in der Volkswirtschaft: es kommt zu Firmenkonzentrationen, zu Druck auf die Löhne und die Beschäftigung, und auf die Politik, den Unternehmen das Leben zu erleichtern, indem die Steuern gesenkt werden und die Gesetzgebung gelockert. Es wird immer mehr das getan, das betriebswirtschaftlich richtig, aber volkswirtschaftlich falsch ist.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht müsste der Staat eigentlich immer mehr eingreifen und regulieren; dafür sorgen dass die Arbeitsplätze möglichst gleichmäßig verteilt werden, gegen Firmenkonzentrationen vorgehen, die Steuern eher erhöhen als senken, um sich die Möglichkeit des Eingreifens zu schaffen und zu erhalten. Die Staatsquote müsste eher erhöht werden, als gesenkt.

Da aber die gesamte Wirtschaft in diesen „schlechten“ Zeiten – die eigentlich „gute“ Zeiten sind, an der Höhe des erreichten Wohlstands gemessen – immer mehr von den Unternehmen abhängt, die die Menschen beschäftigen und den „Kuchen“ erwirtschaften, den es zu verteilen gilt, bekommen die Unternehmen und deren Interessenvertreter immer mehr Macht.

So kommt es zu der Polarisierung, die wir nun immer mehr beobachten. Die Sicht aus betriebswirtschaftlicher Perspektive wird immer radikaler, und die Sicht aus volkswirtschaftlicher Perspektive wird es auch. Wenn sich die Partner der neu geschmiedeten Großen Koalition endlich zusammenfinden zu einem Kompromiss zwischen der betriebswirtschaftlichen Sicht (eher CDU) und der volkswirtschaftlichen Sicht (eher SPD), sind die „Radikalen“ aus beiden Lagern unzufrieden.

Und diese Polarisierung zwischen zwei Sichten, die eigentlich beide richtig sind, nimmt immer mehr zu, je weiter der geschaffene Reichtum der Volkswirtschaften anwächst, und je mehr die Frage im Vordergrund steht, wie denn nun noch neue Bedürfnisse und neue Beschäftigung geschaffen werden können.

Genau genommen ist natürlich die volkswirtschaftliche Sicht die richtigere, denn das Verhalten aus der betriebswirtschaftlichen Sicht führt am Ende dazu, dass die Wirtschaft kollabiert. Leider kann die volkswirtschaftliche Sicht sich eben immer schlechter durchsetzen.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es richtig, Aktien zu kaufen, so lange die Kurse steigen. Wenn das alle tun, steigen die Kurse auch, aber immer nur so lange, bis die Blase platzt. Wenn immer alle das tun, was betriebswirtschaftlich richtig ist, kommt es am Ende zum grandiosen Kapitalkollaps. All dies wird immer extremer und immer schwerer zu bändigen und zu regulieren und zu kontrollieren, je größer der Reichtum schon geworden ist, je gigantischer die Vermögen angeschwollen sind, je stärker die Spitzeneinkommen der Topmanager und die Durchschnittslöhne auseinanderklaffen, und je mehr die Arbeitsplätze schwinden und unsicherer werden.

Was kann man tun?

Eine Antwort, die alles zusammenfasst: man muss die Wertschöpfungsprozesse so umbauen, dass dieser Konflikt zwischen BWL-Sicht und VWL-Sicht eliminiert wird, an der Quelle. Das ist natürlich nicht leicht zu schaffen und zu realisieren, denn es ist noch nicht einmal leicht zu verstehen.

Es geht darum, Werte zu schaffen, denen kein Geldwert gegenüber steht. Das hat es in der Geschichte der Volkswirtschaft nur in einem sehr frühen Stadium gegeben, im klassischen griechischen Oikos, und da will natürlich niemand hin zurück. Sonst hat es das gegeben als primitive Subsistenzwirtschaft, und auch dahin will niemand zurück.

Aber wenn man sich die Entwicklungen der Fertigungstechnologie der letzten 20 – 30 Jahre anschaut, hat es den Anschein, als habe die Technologie gewissermaßen ein Einsehen gehabt mit diesen sich anbahnenden Nöten, und diese Entwicklung ganz von sich aus eingeleitet, die es möglich macht, dass ein Wirtschaften mit einem Subsistenzcharakter mehr und mehr möglich wird, ohne das erreichte Produktivitätsniveau aufzugeben.

Das geht dadurch, dass sich die Fertigung zum Kunden, zum Ort des Konsums hin verlagert, die Produktentwicklung aber unabhängig von diesem Ort irgendwo anders geschieht, und die Fertigung am Ort des Konsums von digitalisierten Produkten über das Internet gesteuert wird. Man nennt das zum Beispiel „Cloud Manufacturing“.

Dieser Effekt des Werte-Schaffens ohne Geld tritt aber nur ein, wenn die Fertigung in der Cloud oder aus der Cloud am Ort des Konsums geschieht, und die Konsumenten auch die Fertiger sind, oder diesen die Fertigung gehört, direkt oder indirekt. Es darf kein Wertefluss stattfinden zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten. Dann entsteht und fließt auch kein Geld.

Wenn zum Beispiel jemand mit seinem kleinen 3D-Drucker zu Hause etwas herstellt, das die gleichen Eigenschaften und Qualitäten hat wie etwas, das er auch kaufen könnte, und es ist billiger, hat er etwas verdient, aber dieses Verdiente kann er nicht in die Spardose stecken. Es hat nur etwas eingespart; er ist reicher geworden, aber die Menge Geld in seinem Portemonnaie und der ganzen Volkswirtschaft ist gleich geblieben. Er ist reicher geworden ohne Geld.

Das gleiche würde passieren, im Prinzip, wenn das Cloud Manufacturing von einer Fabrik durchgeführt würde, die nicht einzelnen Verbrauchern, sondern einem ideellen Verbraucher, dem Gesamtverbraucher gehört, einem Staat oder staatlichen oder jedenfalls überprivaten Organen.

Wenn man einmal davon ausgeht, dass dies ganz grundsätzlich so richtig ist, wird, von dieser Erkenntnis ausgehend, die Realisierung dennoch unendlich schwierig und kompliziert. Wie und wo will und soll man anfangen, mit welcher Produktion und welchen Produkten, wie groß will man einsteigen, wie will man den Erfolg messen, wer setzt so ein Projekt um, wer übernimmt die Risiken, wenn etwas schief läuft.

Und wer verteidigt ein solches Projekt gegen den Widerstand aus der Privatwirtschaft? Die wehren sich natürlich dagegen, dass der Staat ihnen auf einmal Konkurrenz macht, wo die Lage doch ohnehin schon so schwierig ist. Wenn ein leicht erhöhter Mindestlohn schon Sozialismus ist oder die Streichung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen, was wäre dann so etwas? Es gäbe natürlich einen vehementen Sturmlauf, denn so etwas wäre der Beginn einer Entwicklung, die sich zu einem Totalangriff auf die Möglichkeit der Rentenextraktion aus Sachkapital auswachsen würde.

Es entstünde die Möglichkeit, viele nötige Dinge sehr sehr billig herzustellen, fast kostenlos, und trotzdem für jeden genau das, wonach er sucht, und genau dann, wenn er es sucht. Just in time, right in place, und gut und billig und Neid erregend. Und das globalisierte Finanzkapital geht leer aus.

Tatsächlich wäre es genau das, worum es dabei gehen würde. Aber so etwas wird vermutlich erst dann mit dem nötigen Schwung und der nötigen Dynamik in Angriff genommen, wenn der Welt das Wasser schon für jeden sichtbar bis zum Halse steht.

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