Nato sucht(e) Gegner

Am 18.11.2010, es ist lange her, befand das – damals – in die Jahre gekommene – Verteidigungsbündnis NATO sich in der unangenehmen Lage, nach einem neuen ernstzunehmenden Gegner suchen zu müssen. Die Spiegel-Autoren, darunter auch die ehemalige Regierungssprecherin Ulrike Demmer, beschrieben die Nöte der Nato wie folgt:

„Das derzeit gültige Konzept des Bündnisses stammt aus dem Jahr 1999. Seither ist einiges passiert: Die Attacken auf das World Trade Center vom 11. September 2001, die Bedrohung durch Angriffe aus dem Internet, die Bombenattentate islamistischer Terrorgruppen in Europa und anderswo und der Afghanistan-Krieg haben die Welt verändert. Darauf muss sich auch die Nato einstellen, darüber herrscht Einigkeit.“

Soll heißen: nach den „Attacken“ auf das World Trade Center gab es zwar die Kriege in Afghanistan und im Irak, die die behauptete Reaktion auf diese Attentate darstellen sollten, aber diese Kriege stellen keine Bedrohung für die gesamte Nato mehr dar, denn die sind ja schließlich gewonnen, und die damaligen Feinde geschlagen und vernichtet. Was bleibt – Bedrohungen durch Angriffe aus dem Internet, und islamistische Attentate.

Wie soll sich die Welt auf diese Lage einstellen? Man würde wohl eher an polizeiliche oder sonstwie detektivische Spür- und Aufklärungsarbeit denken, als an umfangreiche militärische Aktionen mit großen stehenden Heeren, mit riesigen Arsenalen von Kriegsgerat aller Art, inklusive vor allem auch Atomwaffen. Islamistische Gewalttäter in kleinen mobilen Gruppen kann man nicht wirkungsvoll mit dem viel zu großen Kaliber eines militärischen Einmarsches in ein oder gar mehrere ganze Länder bekämpfen.

Aber die Nato – weiß nicht, wer nun ihr Gegner sein soll. Man würde mit dem einfachen klaren nüchternen Menschenverstand denken, es sei eine gute Nachricht, wenn kein klar zu benennender Gegner mehr auszumachen ist, vor dem die Welt sich fürchten muss, weil er vielleicht Böses im Schilde führt. Der einzige Lebenszweck der Nato seit ihrer Gründung am 4. April 1949, der darin bestand, die Sowjetunion im Zaum zu halten und sie vor Übergriffen abzuschrecken, hat sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 in Luft aufgelöst – aber nun hat die Nato mehr Angst vor ihrer Bedeutungslosigkeit als vor den finsteren Absichten der früheren Sowjetunion.

Frau Demmer fragt also: „Wer ist eigentlich der Gegner?“

Wer käme da in Frage, nachdem man doch „Moskau mehrfach als Partner bezeichnet“ hat, und ausdrücklich den „Willen zur Zusammenarbeit bekräftigt“? Der Ton sei ausgesprochen freundlich, heißt es, aber es soll, woher, von wem und warum auch immer, „Druck der Osteuropäer“ gegeben haben.  Der Artikel 5 des Nato-Vertrags bleibe zwar die wichtigste Grundlage des Bündnisses,  wo auch die Beistandsgarantie im Falle eines Angriffs auf ein Nato-Mitglied festgeschrieben ist. „Außerdem wurde den neuen Nato-Mitgliedern zugesichert, dass es neue militärische Notfallplanungen gegen einen möglichen Angriff geben werde. Der potentielle Aggressor wird zwar nicht genannt. Aber allen ist klar, dass Russland damit gemeint ist.“

Und voilà – da haben wir doch schon einen – wenn auch noch nicht genannten – Aggressor. Russland ist damit gemeint, und das ist auch schon gleich „allen klar“. Aus einem nicht näher begründeten und namentlich identifizierten „Druck der Osteuropäer“ ist unterderhand der neue „potenzielle Aggressor“ geworden.

Aggressor Putin 

Nun ist seit 2010 noch einiges mehr passiert: am 20.2.2022 hat Russland einen  „Sonderoperation“ genannte Krieg mit der Ukraine begonnen, wie inzwischen ja jeder weiß. Die dunklen Ahnungen der Osteuropäer, die befürchtet hatten, dass mit dem potenziellen Aggressor wohl doch etwas im Busch ist, haben sich bestätigt. Ist nun also doch geklärt und bestätigt, dass es diesen böswilligen Aggressor Putin gab, der die ohne diesen Aggressor vollkommen friedliebende Welt ins Chaos und in Tod und Zerstörung getrieben hat?

Die gesamte westliche Welt, und mit einer gewissen Zurückhaltung und vielleicht auch Skepsis von Seiten Chinas, scheint dieser Auffassung zu sein. Putin ist das personifizierte Böse, und alle haben es doch eigentlich schon immer gewusst, bis auf eine Reihe unverbesserlicher „Putin-Versteher“, Gasprom-Vorzugspreiskunden und eingefleischter Amerika-Hasser. Aber so einfach liegt der Fall wohl doch nicht.

Wie kann man die Russen auf die Palme bringen?

Der jetzige US-Präsident Joe Biden, damals Senator von Delaware und lange Zeit im Justizausschuss, hat schon 1997 seine Ideen vorgetragen, wie man den Russen das Leben schwer machen könnte. Er meinte etwa, die Nato müsse bis zu den Staaten des Baltikums, Estand, Lettland und Litauen, ausgeweitet werden, dann könne man eine heftige feindliche Reaktion der Russen provozieren.

https://www.youtube.com/watch?v=A–57cFU5zM

Es war also keineswegs irgendein unbestimmtes Unsicherheitsgefühl der Osteuropäer, das die Nato-Staaten dazu getrieben hat, sich ein neues Konzept zu geben.

Als dann ab Dezember 2013 die Maidan-Krise – der sogenannte Euro-Maidan – in der Ukraine begann, entspann sich eine verhängnisvolle Entwicklung, die im Februar 2014 zu einer tödlichen Schlacht auf dem Kiewer Maidan-Platz  mit über 100 Toten führte, dann zum Putsch gegen die Regierung Janukowitsch, und ab dem 26.2.2014 zur „Annexion“ – oder, nach Einschätzung von Völkerrechtlern, zur Sezession – der Krim von der Ukraine und zu ihrer späteren Eingliederung in die russische Föderation, und damit zu einem Zustand, wie er vorher seit 1783 bis zur Schenkung der Krim an die Sowjetunion 1954 bestanden hatte.

Und was hat die Russen in diesem Fall so auf die Palme gebracht – es sieht so aus als sei es dass Werk einer gewissen Victoria Nuland gewesen, in Kooperation wohl auch mit dem „Mäzen“ und Milliardär George Soros, die unter Aufwendung enormer Finanzmittel diesen Volksaufstand inszeniert hat, um die Geschicke der demokratisch gewählten Regierung Janukowitsch in die von ihr gewünschte Richtig zu lenken. Berühmt-berüchtigt ist der ihr später zugeordnete Ausspruch „Fuck the EU„, mit dem sie unmissverständlich klarmachen wollte dass ihr nicht etwa eine von der EU angestrebte Entwicklung unter europäischen Vorzeichen vorschwebte, sondern dass es um die Einbindung der Ukraine in transatlantische Beziehungsgeflechte ging, und dass sie auch gleich  höchstpersönlich zu bestimmen gedachte, welche Person in diesen Land nun das Sagen haben sollte: nämlich der Herr Arsenij Jazenjuk, ein Jurist, der später in Verbindung mit Korruptionsvorwürfen in Ungnade gefallen war, und ab 2007 etwa als Begründer der Open Ukraine Foundation eine umfangreiche Lobbytätigkeit im Auftrag der Nato, des German Marshall Fund oder der National Endowment for Democracy (NED) entfaltet hatte.

Die „Anti-Terror-Operation“

Im Jahr 2014 ereigneten sich dann schreckliche Dinge, wie zum Beispiel das Massaker in Odessa vom 2. Mai 2014, dem mindestens 42 Menschen zum Opfer fielen, die auf entsetzlich brutale Weise zu Tode kamen – die Morde sind bis heute nicht aufgeklärt.

Nachdem die Menschen im Süden und Osten der Ukraine, die überwiegend russischsprachig sind und sich weigerten, auf ihre Teilautonomie und ihre Zweisprachigkeit zu verzichten, kam es zu einem Referendum, in dem in den Gebieten um Donezk und Lugansk eine Abspaltung von der Ukraine erklärt wurde. Bald begann dann die Ukraine, im Widerspruch zu jedem Staats- oder Völkerrecht, gegen das eigene Volk im Osten des Landes mit Waffengewalt vorzugehen, und nach einigem Zögern startete der dann gewählte Präsident Poroschenko seinen gewaltsamen – und wohl auch verdeckt von den USA unterstützten – Feldzug, der den schönen Namen „Anti-Terror-Operation“ tragen sollte. Zwar kam es dann im Jahr 2015 zu den Friedensschlüssen von Minsk, aber diese Abkommen wurden nie vollständig eingehalten, weil die Ukraine diese Gebiete immer weiter mit wechselnder Intensität beschossen hat, mal vereinzelt und mal heftiger. Eine Woche vor Beginn der dann von Russland so genannten „Spezial-Operation“ gegen die Ukraine am 24.2.2022 wurde der Beschuss auf den Donbass um das 200-fache erhöht – offensichtlich wollte jemand sicher gehen, dass die Nato ihren Wunschgegner nun endlich gefunden hatte, und dass niemand diesen Plan noch würde verteiteln können, indem er nochmal von einer zu wenig „feindseligen“ Reaktion absieht, und den Frieden länger bestehen lässt.

Nato suchte und fand Gegner

Nun hat diese russische Spezial-Operation ihren Lauf genommen, und nachdem man in den ersten Tagen glaubte es sei eine Frage von Tagen, bis Russland seine Ziele erreicht hat, wird nun die Frage diskutiert, ob es sich nicht eher um Monate oder gar Jahre handeln könnte, bis hier wieder friedliche Verhältnisse eingekehrt sind.

Einig ist sich die Welt rund um den Globus in alle Himmelsrichtungen in der Meinung, dass nichts schrecklicher ist als Krieg und nichts wünschenswerter als Frieden in der Welt. Wie konnte es aber dennoch dazu kommen? Hier sind die Meinungen gespalten – die einen geben Russland (natürlich dann in der Person des schuldigen Verursachers Putin) die Schuld, während die anderen eben die lange Vorgeschichte sehen, die an dieser Stelle nur kurz angerissen worden ist. Wie erwähnt, gibt es die dokumentierte Gedankenspielerei Joe Bidens, wie man den Bären zu den von den USA gewünschten Missetaten reizen könnte, schon aus dem Jahr 1997. Der US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer sieht den Beginn der Strategie der Nadelstiche gegen Russland in dem 2008 angestrebten Beitritt Georgiens zur Nato, der nach seiner Einschätzung dann zu dieser Enwicklung geführt hat, die seitdem immer – bis heute – mit dem Ziel vorangetrieben worden ist, Russland nachhaltig und entscheidend zu schwächen oder gar zu zerbrechen.

Russland sieht sich also im Recht zur Verteidigung, ja sogar zur Notwehr gegen diesen Gegner, der ihm Übles will – es schwächen oder gar zerbrechen, und sich womöglich seine vielfächtigen reichen Naturressoucen widerrechtlich aneignen. Die Nato und natürlich vor allem die USA sehen in Russland einen gefährlichen Gegner, der seinerseits Übles im Schilde führt, und gegen den man sich und die Welt schützen muss. Sollte es so tatsächlich so sein, ist kaum eine Friedenslösung denkbar. Allerdings machen schon die Kräfteverhältnisse zwischen diesen beiden Gegnern die Argumentation der Nato nicht sehr glaubhaft: 30 Nato-Mitglieder stehen einem Gegner gegenüber, der selbst 66,8 Mrd. Dollar für Rüstung ausgibt, während die Nato-Staaten dafür etwa das 20-fache, 1,588 Bln. Dollar ausgeben, davon die USA alleine 766,6 Mrd. Dollar. (Handelsblatt) Dazu kommt eben die Vorgeschichte mit dem Putsch in der Ukraine 2013, in dessen Verlauf die Ukraine regelrecht zu einem Frontstaat aufgebaut worden ist, mit vielfältiger materieller, logistischer und „mentaler“ Untersstützung (Stichwort: ASOW) durch die USA und andere Nato-Staaten.

War der Krieg vermeidbar?

Man kann sich nun fragen, ob Russland zu diesem Zeitpunkt – Februar 2022 – noch andere Handlungsalternativen gehabt hätte, um den Frieden zu erhalten. Z. B. stand die Pipeline Nordstream 2 kurz vor der Inbetriebnahme, und war praktisch fertiggestellt. Hätte man die Inbetriebnahme noch abwarten können bzw. sollen, um eine damit verbundene Intensivierung der Beziehungen zu Europa zu fördern und zu nutzen? Hätte man auch besser auf andere Wege der Kommunikation setzen können bzw. sollen als nur den, von den USA bzw. der Nato Sicherheitsgarantien zu fordern, wie es bis Januar 2022 geschah? Hätte man intensiver PR treiben sollen bzw. können, also die missliche Situation Russlands der Öffentlichkeit verdeutlichen, für friedliche Kooperation werben und die friedlichen Absichten Russland sichtbar machen? Wie umgekehrt auch die Chancen und positiven Entwicklungsperspektiven für beide Seiten, eben auch für Europa?

Umgekehrt: wenn man sich für ein militärisches Eingreifen entscheidet – war das gut genug überlegt, geplant und vorbereitet? Nach dem Eindruck mancher Beobachter wurde hier eher emotional und hitzig reagiert, als kühl und wohlüberlegt. Manche fanden die Umsetzung der Operation zögerlich, zu unentschlossen und unorganisiert.

Jedenfall befindet die Welt sich heute, kurz vor dem 1. Mai 2022, in einer Sitution wieder, in der sie sich lieber nicht befunden hätte. Die Lage ist extrem gefährlich und riskant, denn da sich hier Atommächte gegenüberstehen, kann niemand mit Sicherheit ausschließen, dass nicht einer von beiden sich zum Handeln veranlasst sieht.

Zum Frieden und zu Verhandlungen zurückzukehren wäre zu jedem Zeitpunkt möglich gewesen, aber es waren bisher eher die Nato-Partner, die die Eskalation vorangetrieben haben, und die bis zum jetzigen Zeitpunkt den Einsatz von immer mehr Waffen dem Einsatz von Verhandlungen vorziehen.

Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft wissen, wie die Würfel gefallen sind.

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