Wie der Spiegel berichtet, hat der britische Premierminister Boris Johnson den russischen Präsidenten Wladimir Putin mal wieder scharf kritisiert, und der Ukraine mal wieder die nachhaltige Unterstützung seines Landes zugesichert. Denn es geht, so Johnson, um Großes, ja das Größte überhaupt, ja eigentlich schon um Alles oder Nichts: »Es geht um ukrainische Demokratie gegen Putins Tyrannei«, sagte Johnson in einer Videoansprache an das ukrainische Parlament. »Es geht um Freiheit gegen Unterdrückung. (…) Es geht um Gut gegen Böse. Und deshalb muss die Ukraine gewinnen.«
Der seit dem Zweiten Weltkrieg wohl einzigartige Präzendenzfall für einen Kampf des Guten gegen das Böse ist seitdem wohl nach in der ganzen Welt einhelligem Urteil der gute Kampf gegen das böse Hitler-Deutschland, natürlich zuerst in der Person des Bösen schlechthin, des Diktators Adolf Hitler. Insofern ist es nicht überraschend, dass nach Ausbruch des russischen Krieges gegen die Ukraine die Gesichtszüge Wladimir Putins in medialen Auftritten immer mehr die Züge Adolf Hitlers annehmen. Man sieht es gleich: der Böse Wladimir, nun der Böse schlechthin, sieht aus ja schon aus wie böse Adolf Hitler.
Adolf Hitler war nun, wie die Geschichte ja erwiesen hat, nicht nur deshalb böse, weil er die halbe oder eigentlich, was die Dimensionen der verursachten Verwüstungen angeht, eher die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt, und damit unsagbares Leid verursacht hat. Wobei, weil es nun auch insbesondere um Russland und die Ukraine geht, die angerichteten Verwüstungen und das angerichtete menschliche Leid in Russland und der damals mit Russland verbündeten Ukraine mit Abstand die verheerendsten Ausmaße hatte.
Aber was eben noch viel böser war als die Entfesselung dieses verheerenden Weltkrieges, das war der Holocaust, die systematische, planmäßige, industriell betriebene Vernichtung der Menschen jüdischer Abstammung und jüdischen Glaubens. Die Zahlen der zwischen dem Beginn der systematischen Judenvernichtung 1941 bis zum Zusammenbruch Hitler-Deutschlands 1945 ermordeten jüdischen Menschen schwanken zwischen 5,6 und 6,3 Millionen.
Ein solches Ausmaß von Tod und Zerstörung, von verursachtem Leid und Schmerz, von zerstörten familiären Bindungen und Beziehungen, von zerstörten Erinnerungen, von gelebtem und oftmals kaum erst begonnenem Leben ist in der Tat unvergleichlich, und wird und darf nach allem menschlichen Vermögen und Sinnen und Trachten in dieser Weltgeschichte niemals wieder vorkommen.
Gut und Böse in der NS-Ideologie
Man kann fragen, über das pure Faktum der geschichtlichen Einzigartigkeit der kollossalen Verbrechen dieser Zeit hinaus, was den Menschen Hitler und seine Mittäter ausgemacht und bewegt haben mag. Was wollte Hitler denn, was hat ihn motiviert und getrieben, und was hat ihn in die Lage versetzt, andere Menschen ebenfalls zu motivieren und sich von ihm überzeugen und begeistern zu lassen? Die Historiker können zeigen, dass Hitler und seine Nationalsozialisten nach einigen Jahren von Überzeugungsarbeit zur Gewinnung von Anhängern und Gesinnungsgenossen seit Gründung der NSDAP ihren Stimmenanteil von 6,3% im Jahr 1924 auf 37,4% im Jahr 1932 steigern konnten. Bei den Reichstagswahlen vom 5.3.1933 schließlich, bei denen die NSDAP auf 43,9% kam, was das Schicksal der Demokratie in Deutschland besiegelt, und mit dem Ermächtigungsgesetz vom 22.6.1933 wurden alle Parteien einschließlich der NSDAP selber aufgelöst, eine parlamentarische Demokratie gab es anschließend nicht mehr. Auf jeden Fall waren Hitler und seine Bundesgenossen offenbar erfolgreich.
Was wollte Hitler also? Zu sagen dass Hitler nach Weltherrschaft gestrebt hat, dürfte in den Ohren des einen oder anderen zu vereinfachend klingen, aber diese zusammenfassende Erklärung dürfte den Sachverhalt schon durchaus treffen. Hitlers Traum und Ziel war die Welthauptstadt Germania, und die Pläne für ihre Gestaltung in Berlin lagen ja schon vor. Verwirklichen wollte er seine Ziele mit Hilfe der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie, die „arische Rasse“ und der „arische Herrenmensch“ waren, wie er meinte, von „Natur aus“ und „von der Vorsehung“ zum Herrschen ausersehen, und sollten die Welt solange unterwerfen, bis dieses Ziel erreicht war. Wirft man ein Blick auf die Welt in den Grenzen von 1941, sieht man, wie nah dieses Ziel schon gerückt war.
Wenn Hitler nun nach Weltherrschaft strebte – war ein solches Streben an sich schon böse? Könnte es auch mit rechten Dingen zugehen, dass ein Land oder eine Macht die Weltherrschaft besitzen will, und dazu ein Recht hat? Also eine Weltherrschaft, die dann möglicherweise durch faire und freie demokratische Wahlen legitimiert wäre? Hitler wollte faire, freie, demokratisch legitimierte Wahlen ja ohne Zweifel eben nicht, und es gehörte zu seinem Selbstverständnis als auserkorener Führer eben dazu, kraft seiner Führer-Person zur Weltherrschaft bestimmt zu sein. Das kann also das Gute im Sinne aufgeklärter parlamentarischer Demokratien schon mal nicht sein.
Was Hitler nun außerdem oder auch in Verbindung mit dieser Weltherrschaftsidee motivierte, was sein Judenhass, also die Vorstellung, das alle Menschen mit jüdischer Abstammung allein wegen ihrer jüdischen Abstammung dazu verurteilt sein sollten, zu sterben, ermordet zu werden. Juden sollten vernichtet werden, und ihr Schicksal sollte einer „Endlösung“ – eben der Ermordung – zugeführt werden. Das ist in der Tat an Bosheit nach allen uns zur Verfügung stehenden Kriterien zu urteilen nicht zu überbieten. Jeder Mensch, der so etwas tut und anstrebt, ist ein böser Mensch.
In der NS-Ideologie waren gute Menschen solche, die dem Führer gehorchten, und sich sonst möglichst willenlos dem Willen des Führers unterordneten, um die Vorstellung der Weltherrschaft Wirklichkeit werden zu lassen, und die diese Vorstellung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, darunter vor allem Mittel der Gewalt, durchsetzten.
Dass die ganze übrige Welt sich diesen Absichten Hitlers mit aller Macht widersetzte, nachdem hinreichend offensichtlich geworden war, welches Schicksal ihr sonst blühte, ist nun keine Frage. Vom Kriegsbeginn am 1. September 1939 bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 dauerte es dann knapp sechs Jahre, bis die Welt von dem „Bösen“ Adolf Hitlers und der von ihm aufgerichteten Schreckensherrschaft befreit worden war. Bis dahin durfte Hitler seine Wahnidee von der Weltherrschaft träumen, solange des Land Deutschland militärisch und wirtschaftlich so stark war, dass es eine ihm zumindest realistisch erscheinende Chance gab, diese Idee auch zu verwirklichen. Solange spielte gut und böse keine Rolle: es herrschte nur das Recht des Stärkeren, der mit Waffengewalt in die Lage versetzt war, seine ihm gut und recht erscheinenden Ziele durchzusetzen.
Und Putin?
Was ist nun mit Wladimir Putin?
Russland ist eine von neun Atommächten, es gibt die UN, es gibt den Weltsicherheitsrat, es gibt die Nato, und 30 Nato-Staaten. Absolut überlegene Stärke hat heute niemand mehr, und in der UN gibt es von internationaler Erfahrung, entwickelten Kulturen und Rechtsauffassungen getragene Entscheidungen, die in aller Regel auch von demokratisch legitimierten Staats- und Rechtsorganen getragen sind. Einen Hitler, der der Welt seinen Willen aufzwingt, gibt es nach dem Verständnis entwickelter, moderner, stabiler und handlungsfähiger Staaten und Kulturen lange nicht mehr. Ist es aber nun, trotz alledem, dennoch so, trotz aller gemachten Erfahrungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, trotz aller Abkommen und Vereinbarungen mit dem Ziel der Entspannung und Deeskalation, genau so, wie nun etwa die Zeit behauptet: „Russland will den gesamten Westen besiegen“? Ist also nun doch bzw. wieder ein Gewaltherrscher Putin in der Position, die ganze Welt zu besiegen und zu beherrschen? Ist so eine Behauptung glaubhaft?
Wie bereits beschrieben, würde Putin – oder dann doch realistischer bzw. nüchterner gesagt: das Land Russland, bzw. die russische Föderation – schon anhand der ihm zur Verfügung stehenden militärischen Mittel gar nicht in der Lage sein, die (westliche) Welt zu besiegen und zu beherrschen. Wie gesagt, stehen hier 30 Nato-Staaten mit ihren gesamten Waffenarsenalen diesem einzigen Gegner Russland gegenüber. Und der Status als Atommacht alleine kann dieses Potential ja nicht erschaffen: Atommächte sind, solange sie eben nicht alleinherrschend sind, eigentlich ohnmächtig und stecken in einer Pattsituation, denn sie könnten nur um den Preis ihrer eigenen totalen Vernichtung einen Atomkrieg gewinnen.
Wieso soll es dennoch so sein, dass Putin den gesamten Westen besiegen will?
Wer sich so äußert, unterschlägt, dass es sich bei dem von Russland geführten Krieg eben nicht um einen Krieg des Westens (inkl. vor allem der USA) gegen Russland handelt, sondern um einen Krieg Russlands gegen einen Stellvertreter, nämlich die Ukraine. Und von der Ukraine weiß man eben seit der beschriebenen Vorgeschichte, die – manifest – etwa 2013 begann, dass die Ukraine nach dem Putsch gegen den damaligen gewählten Präsidenten Janukowitsch am 21. Februar 2014 mit vielfältiger – offener oder verdeckter – Hilfe zu einem Gegner gegen Russland aufgebaut worden ist.
Heute befindet sich die weltliche Welt in diesem Stellvertreterkrieg gegen Russland, den die Ukraine ausfechzufechten hat, mit kräftiger Unterstützung des gesamten westlichen Welt, und die Ukraine soll nun Russland besiegen. Natürlich steht der Westen dabei auf der Seite der Ukraine, und die Ukraine sind die guten, und die Russen die bösen. Dass der Westen aber inzwischen seine zuvilisatorischen Errungenschaften, seine demokratischen Prinzipien, seine Kultur des Interessenausgleichs und der Verständigung offenbar aufgegeben hat, möge etwa das folgende Beispiel zeitgenössischen Kunstschaffens illustrieren:
Der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt befand jedenfalls, bei diesem Werk handele es sich um Kunst, und in diesen Zeiten müsse Kunst eine Waffe eine Waffe sein: „In these times art is also a weapon„. Ja aber, muss man fragen, in Anbetracht derartiger Kunstschöpfungen: ist es glaubhaft, dass es Bildt und, wie er behauptet, dem Westen darum geht, Demokratie und westliche Werte gegen den Berserker Putin und sein Russland zu verteidigen, wenn er dabei zu solchen „Argumenten“ greifen muss? Wenn den Feind Russland dabei zu vernichtungswürdigen Ungeheuern stilisieren muss, wie es selbst in den finstersten Zeiten entmenschlichender Nazi-Ideologie geschehen ist ? Wendet sich da die Sprache, die Bildt verwendet, nicht eher gegen die behaupteten edlen Motive des Westens selbst?
Bei genauerer Betrachtung der Motive des Westens müssten eigentlich Zweifel aufkommen, ob es hier tatsächlich um einen Kampf des Guten und Edlen gegen das finstere, gewalttätige Böse geht, und um dessen Drang zur Weltherrschafft, in der Person Putin. Die Kräfteverhältnisse, militärisch und wirtschaftlich, zeigen ein gewaltiges Übergewicht zugunsten des Westens. Russland ist, was seine Grundfläche angeht, zwar ein riesiges Land, und es besitzt enorme Reichtümer an Bodenschätzen, aber nur, wenn es Interesse und Nachfrage für diese Bodenschätze gibt. Russland kann diese Schätze nur nutzen, wenn es Käufer gibt. Um die westliche Welt aber militärisch zu besiegen oder gar zu unterwerfen, nutzen ihm diese Bodenschätze garnichts. Und die Atomwaffen nutzen auch nichts, denn sie könnten nur zu einem Sieg führen, der im selben Augenblick auch in die Niederlage und die entgültige Katastrophe führen würde.
Russland hätte also nicht viel zu gewinnen, wenn es, wie behauptet, den gesamten Westen besiegen will. Russland kann als Rohstofflieferant nur gewinnen, wenn der Westen als Abnehmer auch gewinnt. Russland kann also nur wirtschaftlich gewinnen, wenn für seine Geschäftspartner eine Win-Win-Situation entsteht. Und was die behauptete militärische Bedrohung des Westens durch Russland angeht: Nato-Staaten sind allesamt geschützt durch die zugehörigen Atommächte, die Russland aus den gleichen Gründen nicht angreifen würde wie eine der Atommächte selber.
Wer hätte tatsächlich etwas zu gewinnen?
Ganz anders sieht die Sache aber für den edelmütigen Westen aus. Der hat nämlich sehr viel zu gewinnen – sofern er die Herrschaft über sein eigenes Land, seine nationale Autonomie, Würde und Unabhängigkeit, und – natürlich – seine Bodenschätze verliert, oder jedenfalls die Kontrolle über diese Bodenschätze. Der Westen (natürlich insbesondere die USA) befänden sich am liebsten noch immer in der Position wie in den 1990er Jahren unter dem damaligen russischen Präsidenten Jeltzin, der die Herrschaft über das Land und seine Geschicke fast komplett, gottergeben und willenlos an die in endlosen Scharen einfallenden Horden westlicher (meist amerikanischer) Berater übertragen hätte, die das Land nun zugunsten westlicher Konzerne ausbeuten durften. Diesem Spiel hat Putin dann, wie man ja weiß, nach seiner Wahl 1999 noch rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben, um die verbliebenen Naturreserven und Bodenschätze in den Händen der – tatsächlich die Interessen des Volkes – vertretenden Staatsorgane zu belassen.
Darüberhinaus hat Putin sich dann erlaubt, dem Westen bzw. den USA gelegentlich auf die Füße zu treten und daran zu erinnern, dass in der Welt das Völkerrecht herrscht, und nicht nur das Recht der USA, bzw. eben des Westens.
Wenn man sich nun die tatsächlichen Interessen des edlen Westens – nunmehr eben vertreten durch die heldenhaft kämpfenden Ukrainer in ihrer schimmernden Rüstung – einmal vergegenwärtigt, dann erscheinen da zum einen die gigantischen wirtschaftlichen Interessen an einer Ausbeutung russischer Bodenschätze durch westliche Konzerne, und zum anderen die westlichen Interessen an einer Eindämmung russischer Autonomie und Unabhängigkeit zulasten Russlands, oder eben, ganz im Gegenteil, an der Etablierung einer Herrschaft über die (westliche) Welt, die einer unipolaren Weltherrschaft in der Tat nun schon recht nahe kommt. Da in dieser Sicht China als der andere Konkurrent um eine gewichtige Position in einer unipolaren Weltordnung gesehen wird, die China eben gerne als Partner in einer multipolaren Weltordnung etablieren würde, ginge es bei einer Niederlage Russlands um den – dann letzten – Kampf gegen einen Gegner China, dem dann keine Macht der Welt mehr im würde Wege stehen können.
Weltherrschaft, Weltwirtschaft, das Gute und das Böse
Nach Hitler kann Herrschaft als umfassende Machtausübung, sei sie demokratisch legitimiert oder auch nur scheindemokratisch legitimiert (wie es für den Fall Russland ja oft behauptet wird), nur noch wirtschaftlich verstanden und werden; vollkommen unmöglich wäre Weltherrschaft als rein militärische Gewaltherrschaft. Gut möglich dagegen wäre Weltherrschaft als wirtschaftliche Übermacht, und an den wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen gemessen, die sich ja nur zu deutlich in der entstandenen weltweiten Vermögensverteilung zeigen, gibt es ja schon eine de facto-Weltherrschaft. Antrieb und Motiv der Ausübung von Herrschaft ist die unaufhörliche Erweiterung der Wirtschaftskraft, bzw. der schon geschaffenen Wirtschaftskraft als verfügbares Vermögen. Die Vermögen sollen ewig weiter wachsen, und wenn man sich das Wachstum der konzentrierten Vermögen der letzten Jahre anschaut, insbesondere auch durch Effekte der Corona-Pandemie und nun des Ukraine-Krieges (durch die Gewinne der Rüstungsindustrie), so hat die Machtentfaltung der in diesem Sinne herrschenden Kräfte sehr erfolgreich in das zu beobachtende Geschehen eingewirkt. Es läuft gewissermaßen alles nach Plan, und es läuft wie geschmiert; die Gewinne explodieren. Um nun dem militärischen Stellvertreter Ukraine zu militärischen Erfolgen zu verhelfen, kann die wirtschaftliche Macht sich der politischen Macht bedienen, und sie kann politisches Personal wie gewünscht steuern und beeinflussen, und ebenso die öffentliche Meinung in die gewünschte Richtung manipulieren – eben auch, wie gesehen, durch „Kunst“.
Dennoch sind die Akteure, die die Fäden ziehen, immer wirtschaftliche Akteure. Ein wirklicher Gewaltmensch wie Hitler, so irrational, affektgesteuert und mittelalterlich denkend und gepolt wie er war, würde in der heutigen Zeit niemals in einem solchen Umfang Macht gewinnen können, dass er für die tatsächlichen Machtinhaber gefährlich werden könnte. Und auch Wladimir Putin wird nicht für „den Westen“ und seine wirtschaftlichen und politischen Eliten wirklich gefährlich – das ist eben schon wegen der Atomwaffen unmöglich.
Wer also tatsächlich den Weltfrieden gefährdet ist nicht Putin. Putin könnte nichts anderes erreichen, und er versucht in der jetzt entstandenen Situation auch nichts anderes zu erreichen, als die Existenz des Staates Russland als autonome und unabhängige Größe zu bewahren und zu erhalten. Auch für ein Land wie Russland und einen Staatslenker wie Putin ist in der heutigen Zeit Machtentfaltung und Machterhalt nur mit wirtschaftlichen Mitteln möglich. Russland befindet sich aber darum in einer Sonderrolle, weil seine Unabhängigkeit und seine wirtschaftliche Stärke, wie gesagt, davon abhängen, dass es seine Rohstoffe verkaufen kann. Es muss sich und seine Wirtschaftskraft darüber hinaus nicht weiterentwickeln und versuchen, neue Märkte als Warenproduzent zu erobern. Es muss diese Rohstoffe einfach nur verkaufen, und kann umgekehrt alles Nötige zum Konsum kaufen. solange auch die Nachfrage reicht.
Aber diese Situation ist für die typische industrielle Produktion eben eine ganz andere. Die Produzenten unterliegen den Gesetzen der warenförmigen Güterproduktion, also der Gütermärkte, der Finanzmärkte, und das Geschehen unterliegt der typischen Dynamik.
Die kapitalistische Wirtschaft – die produzieren und im Wettbewerb überleben oder aber untergehen muss – muss wachsen und expandieren, sie muss Gewinne machen, und sie muss am Ende die Wünsche derjenigen bedienen, die die Kapitalien geschaffen haben, und die dann mit ihrer Geldmacht die Welt in die gewünschte Richtung lenken können. Diese Kräfte, die über die riesengroßen Kapitalien verfügen, sind unersättlich, und sie wollen ihre Gewinne wachsen sehen, in alle Ewigkeit.
Nun hat die wirkliche Welt aber längst verstanden, dass die Welt nicht ewig wachsen kann. Und, wenn man sich die reale bzw. realwirtschaftliche Nachfrage anschaut, ist auch längst deutlich geworden, dass „die Welt“, also die Masse der Nachfrager, gar nicht ewig wachsen will. Die Nachfrage, und dabei die, die man als die „rationale“, vernünftige, nachhaltige Nachfrage bezeichnen könnte bzw. müsste, ist längst gesättigt.
Die großen Ökonomen, die Schöpfer der „Grand Theories“ Marx, Keynes und Schumpeter, waren sich in der Einschätzung einig, dass das zunächst sehr erfolgreiche, vernünftige und wohlstandserweiternde wirtschaftliche Wachstum eines Tages zu einer Verlangsamung, und dann zu einem Stillstand kommen müsse. Dieser Moment sei dann gekommen, wenn die Antriebskräfte der Entwicklung mit dem Erreichen von Marktsättigung in weiten Bereichen erlahmen, und wenn mit dem Schwinden der unternehmerischen Initiative eben auch das getan und erreicht worden ist, was der Kapitalismus im bestem Fall auch überhaupt hätte erreichen können.
Was nun genau den Lauf der weiteren Entwicklung nach diesem Ende des Wachstums steuern und gestalten würde, darüber gingen die Meinungen auseinander. Aber klar war, dass das Wachstum und der damit verbundene Naturverbrauch sowie der damit verbundene Schadstoffausstoß begrenzt und minimiert müsse. Die Gewinne der Kapitaleigner, die über viele Generationen sich daran gewöhnt hatten, dass in den Geschäftsbüchern immer schwindelerregendere Zahlen zu bestaunen sein würden, in denen die Gewinne sich ausdrücken, mussten zu ihren Schrecken damit rechnen, dass ihre Gewinne eines Tages stagnieren würden, und mit den Gewinnen die Zinsen, oder eben auch umgekehrt: mit den sinkenden Zinsen die sinkenden Kapitalerträge aus den – dann passiven – Rentenerträgen.
Aber – die Inhaber der riesigen Vermögen wollten sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden. Sie wollten ihre Gewinne immer weiter steigern, obwohl die reale Wirtschaft, gewissermaßen die ganze reale wirtschaftliche Werte schaffende Welt, lange genug und mehr Werte geschaffen hatte, als dass die begrenzte Welt weiteren Naturverbrauch und weitere Schadstoffbelastung darüber hinaus noch ertragen könnte.
Das heißt: diese Menschen, die ihre Gewinne ohne Rücksicht wachsen sehen wollen, fügen der Welt und ihren Mitmenschen Schaden zu, und dies wissentlich, und mit voller Absicht.
Und das ist böse. Über die Jahre und Jahrhunderte hatten die „Schumpeterschen Unternehmer“, die Menschen, die zum Wohle ihrer Mitmenschen der Fortentwicklung des Ganzen gute Dienste geleistet haben, die fleißig und vernünftig und hoch planvoll und rational gewirtschaftet habe, die Menschen immer reicher gemacht, die „Besitzenden“ oder unternehmerischen Kapitaleigner genauso wie die nichtbesitzenden Arbeitnehmer. Das war gut und gut genug, und nun sollte das Wachstum vernünftigerweise aufhören.
Ewiges Wachstum – nun mit Gewalt, Betrug, List und Tücke
Aber nun wurden sie trickreich und betrügerisch, um ihre Gewinne ewig weiter wachsen lassen zu können, auf Kosten der Öffentlichkeit, der Staaten, der Mitmenschen, und der Steuerzahler. Die Armut nahm (und nimmt) immer verheerendere Ausmaße an, bei den direkt Betroffenen genauso wie bei den nicht direkt Betroffenen, die in Zukunft auf niemals mehr zurückzahlbaren Schuldenbergen sitzen, für die sie dann ewig Zinsen zahlen müssen.
Und an der Stelle wird aus der bis dahin rationalen, wirtschaftlich wertvollen Machtausübung böse, betrügerische, gefährliche und wegen der radikalen Rücksichtslosigkeit und radikalen, bewussten, skrupellosen Rationalität des Vorgehens die radikal böse Machtausübung, die zu früheren Zeiten nie möglich war, weil sie sonst für politische Gemeinweisen zerstörerisch und vor allem selbstzerstörerisch gewesen wäre.
Solange der „Ewige Friede“ noch nicht geschaffen worden ist, von dem Immanuel Kant hoffte, dass er eines Tages Wirklichkeit werden könnte, solange gibt es Kriege, in denen Menschen einander bekämpfen, und töten und sterben. Aus der Sicht des einen ist der Gegner immer der Böse, der Feind. Und es geht immer um das Überleben, den Sieg des einen, dessen Existenz durch den Krieg des anderen bedroht ist. Beide halten ihren Kampf für berechtigt, für eine gerechte Sache, und für eine Notwendigkeit. Aber unter den nun entstandenen Bedingungen kämpft die eine Seite, eine praktisch unbesiegbare Übermacht völlig ohne Not, ohne Notwendigkeit, und nur noch, um schon vorhandene exzessive Reichtümer ewig weiter zu vergrößern. Sie bringt Not, Zerstörung und Verzweiflung, nur aus Habgier und Lust an der Macht. Das ist das wirklich Böse, das radikal Böse.
Damals gab es die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, und eine so große Katastrophe, ein solcher Rückfall aus allen geschaffenen kulturellen und moralischen Bindungen wie in NS-Deutschland, so, dass die ganze Welt ihre Kraft aufbieten musste, um dem Einhalt zu gebieten, ein solche Katastrophe hat sich – leider, aus deutscher Sicht, und zur Schande der Deutschen – nur in dieser Zeit, und danach nie wieder ereignet. Danach war „das Böse“ einige friedvolle Jahrzehnte lang besiegt.
Aber nun, nach dem Erreichen all dessen, was Vernunft, Bildung, Phantasie, Wagemut, Tüchtigkeit, Fleiß und Beharrlichkeit erreichen können, was alle guten Geistes- und Gemütsgaben überhaupt erreichen können, in einem Moment, wo es geschichtlich möglich wäre, mit gutem Gewissen die Ernte all dessen einzufahren, was über Generationen vorher geschaffen worden ist, und was nun in eine ganz neue, unbekannte und nie erwartete Zukunft führen könnte: nun stehen statt vor großen Chancen und Hoffnungen erneut sehr nahe an einem Abgrund, aber nun ist es nicht etwa Adolf Hitler, und schon gar nicht Wladimir Putin, die – dieses mal wirklich die ganze Welt – in den Abgrund stoßen könnten. Nun ist es die pure Habgier, eine aus Habgier geborene Sucht, und ein aus dieser Sucht geborenes teuflisches Kalkül, das die Welt vor sich her in den Untergang treibt.
Viel Zeit bleibt vielleicht nicht mehr, das Schlimmste zu verhindern – und in diesem Fall wäre das Schlimmste tatsächlich die Auslöschung der physischen Existenz großer Teile oder gar der ganzen westlichen Welt, wobei die östliche dann durchaus ja auch noch folgen könnte. Der Erhaltung des Friedens unter diesen Umständen nicht die absolute Priorität einzuräumen, um sich in Spekulationen zu ergehen, ob das Risiko eines Atomschlages bzw. Atomkrieges denn nicht noch ein paar weitere Tage, Wochen oder Monate zu riskieren wäre, um vorher noch ein paar „Siege“ (m.a. W.: Gewinne für die Rüstungsindustrie) herauszuschlagen, macht sprach- und fassungslos.
Es wird schwerer sein dieses mal als bei Adolf Hitler. Eine reelle Chance gibt es aber, schon aus Prinzip, immer.