System by Design?

Wir brauchen ein neues Wirtschaftssystem, aber das brütet der sterbende Kapitalismus eigentlich ganz von selber aus. Wir sollten es erkennen, und könnten die Geburtswehen verkürzen und abmildern.

George Monbiot hat absolut Recht. Grünes Wachstum ist eine Illusion, und der Kapitalismus, den wir kennen, ist nicht mit dem Überleben des Planeten vereinbar. Darum brauchen wir ein neues Wirtschaftssystem. Aber das können wir nicht designen, wie man ein 2-sitziges Sofa designen kann oder einen Toaster, und uns dann eines aussuchen, das die meisten Likes erhält.

Richtig ist, dass der Kapitalismus immer weiter wachsen muss, und dass das in einer Welt mit endlichen materiellen Ressourcen nicht möglich ist. Darum brauchen wir ein Wirtschaftssystem, das statisch ist und statisch sein kann, ohne seine Stabilität und seine Fähigkeit zu verlieren, Wohlfahrt zu generieren. Das können wir uns schon einmal nicht aussuchen.

Kein Zurück in die Goldenen Jahre

Gibt es einen guten und einen schlechten Kapitalismus? Ja, es gibt einen Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Kapitalismus. Der gute Kapitalismus hatte die Aufgabe, die Menschen satt zu machen, und sie mit gutem Essen und Trinken, Kleidung, Wohnung, Mobilität, Bildung und Kultur auszustatten. Das gab es alles vorher, im Feudalismus, nur für die Eliten, während die breite Masse, bis zu 80 Prozent der Bevölkerung, auf dem Feld schuften musste.

Aber diese Aufgabe hat der Kapitalismus erfüllt, und das wurde bereits Mitte der 1970er Jahre, mit den ersten alarmierenden Wachstumseinbrüchen, erkennbar. Großökonomen wie John Maynard Keynes und Joseph Schumpeter haben das vorausgesehen, Keynes sogar mit Jahreszahl. Für Keynes bedeutete das Ende des Wachstums ganz lapidar, dass der Kapitalismus „das Problem der Ökonomie“ gelöst hat. Er hat wirtschaftliche Knappheit, Not und Mangel für die Menschen besiegt.

Danach aber – gibt es nur noch den schlechten Kapitalismus. Er wird zu einem lebenden Untoten, der rastlos um den Globus irrt und alle verfügbare Wertsubstanz wie Blut einsaugen muss, um noch ein paar Jahre weiterzuleben, noch ein wenig Zeit zu kaufen, wie Wolfgang Streeck es vor Jahren nannte.

Monbiot hat auch damit Recht, dass es kein Zurück gibt, wie es gebetsmühlenartig von offiziösen Instanzen und jedem Funktionsträger in Politik oder Wissenschaft beschworen wird, der gezwungen ist, die immer unübersehbarer werden Dysfunktionalitäten dieses sterbenden Kapitalismus zur Kenntnis zu nehmen. Das Vorbild ist dann immer der „gute“ Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft der Wirtschaftswunderjahre mit ihren traumhaften Wachstumsraten in Gewinnen und Löhnen.

Aber dahin gibt es kein Zurück. Warum – weil der Kapitalismus seine Aufgabe erledigt hat. Die Märkte sind voll und übersättigt: das ist das Ziel der ganzen Veranstaltung gewesen. Nur für einen Kapitalismus, der dann nicht abtreten will bzw. Kapitalisten, die ihre unerschöpflich scheinenden Geldquellen niemals versiegen sehen wollen, ist das ein Problem. Keynes hätte diese Menschen, die sich von der puren Gier nach dem Gelde bewegen und hinreißen lassen, aus tiefster Seele verachtet.

Staatskommunismus

Der Sowjetkommunismus war nie eine Alternative, sondern einfach nur ein Fehler, ein Irrtum von unvergleichbar tragischen Dimensionen. Ausgerechnet eine Revolution, die sich auf Marx berief, hat das versucht, was Marx für unmöglich erklärt hatte: eine geschichtliche Epoche zu überspringen, bevor sie sich bis zur vollen Reife ihrer Möglichkeiten hat entwickeln können. Marx wusste, dass man geschichtlich notwendige Perioden weder überspringen noch wegdekretieren kann. Aber er hat diese Erkenntnis nicht durchgehalten. Durch seine fehlerhafte Mehrwerttheorie hat er sich zu seiner Forderung der „Expropriation der Expropriateure“ hinreißen lassen. Als die „Expropriateure“ expropriiert waren, blieb den Sowjets gar nichts anderes übrig als sich ihrerseits wie die vorherigen Expropriateure verhalten, um wenigsten halbwegs die Aufgaben erfüllen zu können, die der Kapitalismus wesentlich erfolgreicher erledigen konnte, nämlich die Menschen satt zu machen. Marx wusste auch dies: es sind die materiellen Mittel, die „Mittel zur Bearbeitung des Naturstoffes“, die die Epochen bestimmen. Solange diese Mittel nicht ausgebrütet sind, kann eine politische Revolution die Verhältnisse nicht ändern.

Mehr Statik

Was also tun? Ökonomien mit einer hohen Staatsquote besitzen mehr Statik als ein „schlanker“ Staat. Aus genau diesem Grund habe die Propheten ewigen Wachstums die Staaten „verschlankt“ und „entschlackt“ und hemmungslos öffentliches Eigentum verscherbelt und privatisiert. Das sollte das eingebrochene Wachstum, das nur Symptom der erfüllten Aufgabe des Kapitalismus war, wieder „ankurbeln“. Wie uns heute schmerzlich bewusst wird, war dies das Falscheste was man tun konnte.

Mehr Statik können wir also nur dadurch erreichen, dass wir die Staatsquote wieder erhöhen. Der an der Universität Frankfurt lehrende Sozialwissenschaftler Tim Engartner wird nicht müde, für eine Rückverstaatlichung von Post und Bahn zu trommeln, zumindest zu Teilen. Grund: Staaten, die politisch steuern wollen, brauchen Gemeineigentum. Etwa am Beispiel kommunalen Wohneigentums ist leicht zu demonstrieren wie der Staat hier politisch steuern kann: er kann die Preise deckeln, weil das Wohneigentum so dem Zugriff des auf Spekulationsgewinne schielenden Finanzvermögens entzogen ist.

Neue materielle Mittel

Warum waren Staatsbahn und Staatspost, eine staatliche Lufthansa, staatliche oder kommunale Wasser- und Energieversorgung und sogar ein staatliches VW-Werk nie Sozialismus oder gar Kommunismus? Warum wurden erst der Trabbi, der VEB „Fortschritt“ Herrenbekleidung und die Staatskolchose, auf der Traktoren mit einem für sämtliche Traktoren und LKW der DDR einheitlichen Motor arbeiteten, zu einem Markenzeichen des trostlos versagenden Staatssozialismus?

Wenn ein Produktionssystem n Kunden beliefert, die x verschiedene Konsumwünsche haben, und das x ist 1, also für alle gleich, wie zum Beispiel das Wasser oder der elektrische Strom, dann wird niemand etwas vermissen, wenn das liefernde Produktionssystem ein öffentliches ist, also gewissermaßen diesen n Personen gehört. Die versorgen sich dann selbst, und decken ihren Bedarf zu den reinen Herstellungskosten. Wenn aber das x potenziell unendlich groß ist, wie das etwa bei Textilien, Automobilen, Möbeln und dem gesamten privaten Endverbrauch recht unzweifelhaft der Fall ist – dann ist der Konsument mit seinem VEB „Fortschritt“ Herrenbekleidung nicht gut bedient. Und daran würde auch das vollkommenste sozialistische Bewusstsein nichts ändern.

Daran etwas ändern könnten nur andere „materielle Mittel“. Die müssten nämlich offenbar in der Lage sein, für n Personen x verschiedene Konsumwünsche zu erfüllen, also für jeden das, was er gerne hätte, also idealerweise sein ganz persönliches individuelles Einzelstück.

Nun wird niemandem, der in den vergangenen Jahren etwa die Hannover Messe Industrie besucht hat, entgangen sein, dass die Entwickler der Produktionsmittel, Siemens, Bosch, SAP und eine Unzahl von kleinen kreativen Tüftlern und Zulieferern, ja exakt genau das versuchen: die „smarte“ Produktion in der Losgröße Eins zu ermöglichen, also in Serien von einem einzigen Stück, und das auch erst auf spezielle Anforderung eines Kunden, on demand.

Die Entwickler der Produktionsmittel versuchen das, weil zum einen die Digitalisierung der Produktion so eine hochgradig „intelligente“ und flexible Produktion erlaubt und so Kosten gespart werden können, und zum anderen, weil die Hersteller lange erkannt haben, dass die Massenmärkte „tot“, weil gesättigt sind. Sie sind also gezwungen, ihren Kunden ständig wechselnde und sehr spezielle Konsumwünsche zu erfüllen. Und genau diesen Prozess der Entwicklung neuartiger Produktionsmittel unter dem Druck der Marktverhältnisse würde Marx als das „Ausbrüten der materiellen Mittel“ für die nächste höhere Epoche identifiziert haben.

Denn diese materiellen Mittel könnten dann – öffentliche, staatliche sein. Das wäre dann nämlich nicht mehr der VEB Herren- oder Damenbekleidung, der alle zwei Jahre eine sparsame Kollektion auflegt, die dann das ganze Land kaufen und tragen muss. Das wäre ein intelligentes Netz von dezentralen Produktionsstätten, das individuelle Design- bzw. Produktentwürfe realisieren kann.

Ließen sich so Klimakatastrophe und Artensterben stoppen? Ließe sich so der Kapitalismus transformieren? Unter diesen Bedingungen wäre die Produktion nicht mehr renditegesteuert, sondern gebrauchswertgesteuert. Die Ökonomie bekäme so statische Elemente, die vorher nie realisierbar waren. Außerdem bekäme die Öffentlichkeit gestaltenden Zugriff auf die Bedingungen der Produktion, die im Falle privatkapitalistischer Produktion ebenfalls nicht möglich waren.

Es wäre außerdem eine „höhere“, intelligentere Ordnung von Produktion und Verteilung: nicht mehr über den anonymen chaotischen Markt mit der unvermeidlich entstehenden Marktdynamik, sondern viel direkter, etwa gesteuert über Plattformen. Ein Konsument würde mittels einer Plattform ein Produktdesign auswählen und zur Produktion in Auftrag geben, statt dass es in endlosen Warenströmen vorproduziert, auf Lager gelegt und in die Märkte gedrückt werden müsste.

So etwas kann nicht entstehen, indem man Produktionsmittel „vergesellschaftet“. Solche Produktionsmittel gibt es ja noch gar nicht. In sie muss Forschung und Entwicklung, und Aufwand zur Implementierung investiert werden, der Spaß wäre also nicht billig. Aber so entstehen Produktionsmittel, die von vorneherein, von ihrer „Natur“, ihrer Funktionsweise her schon gesellschaftlich sind.

Es würde damit offensichtlich um etwas anderes gehen, als etwa die Arbeiter von BMW stärker an den Gewinnen zu beteiligen, wie Kevin Kühnert es angedacht hat. Das würde mit Blick auf Artensterben und Klimakatastrophe nicht wirklich nachhaltig von Nutzen sein.

Es geht um mehr als höhere Löhne: es geht um etwas Großes, um die nächste Epoche. Auch das hatte Kühnert angemahnt, als es um den Streit um die Beteiligung an der nächsten GroKo ging. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hatte das in der ihr eigenen Diktion schnell als das erkannt, was kleinere Geister eben nur zu sehen vermögen: „Was ist denn was Großes? Das ist doch Blödsinn!“

Nein, Frau Nahles, bei der nächsten Menschheitsepoche jenseits von Markt- und Kapitaldominanz und abhängiger Vollzeitbeschäftigung handelt es sich nicht um Blödsinn. Das ist etwas, wovon die Menschheit geträumt hat, solange sie träumen kann. Das ist etwas Großes.

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