Dass die Digitalriesen mit Plattformen eine Menge Geld verdienen, und eine Menge Steuern nicht zahlen, hat sich herumgesprochen. Wenn sie wenigstens ihre Steuern zahlen würden, könnte man sich mit dem Überwachungskapitalismus, den die Digitalriesen ja auch noch auf dem Kerbholz haben, halbwegs arrangieren. Aber das tun sie partout nicht, und bunkern ihr Geld in Steueroasen.
Darum machen sie sich unbeliebt, und das gemeine Volk fängt an nachzudenken über – Plattformsozialismus (den man auch Digitalsozialismus nennen könnte). Denn die Plattformen sind ja an sich eine gute Idee, sogar Amazon und Uber und Ebay, und was es sonst noch so gibt, was die Bequemlichkeit verspricht, alles vom heimischen Laptop aus erledigen zu können. Deshalb taucht hier und da schonmal die Idee auf, diese Services als hoheitliche Aufgabe zu betrachten, und sie konsequent auf das Allgemeinwohl zu verpflichten, statt auf private Gewinne. Das hieße: sie verstaatlichen.
Aber bisher ist es nur Information, Logistik, Distribution und vielleicht Mehrfachnutzung von Dingen (z. B. Wohnungen per Airbnb; Stichwort Access statt Eigentum), was Plattformen können.
Wie wäre es aber, wenn man über Plattformen auch die Produktion steuern könnte, also dass man auf einer Plattform etwas aussucht, durchcheckt und all das macht, was man sonst mit einem Ausstellungsstück im Kaufhaus macht, und dann drückt man den Knopf – und das Ding wird in einer Fabrik hergestellt, die nur auf dieses Kommando gewartet hat? Und diese Fabrik ist auch noch quasi komplett automatisiert, sie ist also „autonom“, und – sie ist ein „volkseigener“ Betrieb? Wäre das dann Plattform-Sozialismus? Und dann noch einer, der funktioniert?
Mal angenommen, er funktioniert, also die Sachen die man bestellt sind tatsächlich so wie bestellt und funktionieren auch noch nach zwei Wochen oder sogar fünf Jahren und die Sachen sind auch noch billig, und die Leute finden das gut und kaufen da das Zeug was sie so brauchen. Wäre das dann Fortschritt gegenüber dem Kapitalismus? Oder wäre das immer noch mehr DDR als Plattform-Sozialismus?
DDR wäre es erstens darum nicht, weil der Rest vom Kapitalismus ja immer noch da wäre, aber kleiner, also viele kleine private Unternehmen, die keine Großkonzerne mehr sind mit Hang zum Monopol. DDR wäre das zweitens nicht, weil es funktioniert, niemand im volkseigenen Betrieb im Blaumann zwangsarbeiten muss und niemand eingesperrt werden muss. Und drittens wäre das darum nicht DDR, weil im Prinzip jeder machen kann was er will, den ganzen Tag. Es wäre jedenfalls viel billiger, den ganzen Tag zu machen was man will; man müsste deshalb nicht zum Diogenes in der Tonne werden. Die wichtigen Dinge gibt es quasi umsonst, weil die aus der autonomen Smart Factory kommen, die keinem Monopolisten gehört.
Und dann gibt es noch einen wichtigen Grund, warum das gut wäre: es gäbe keinen Zwangskonsum mehr. Diese volkseigenen Plattform-Betriebe gehörten niemandem, der ewig Angst hat wegen zu niedriger Rendite. Und weil „das Volk“ dann auch den Daumen darauf hätte, ob das auch ökologisch koscher ist was da produziert wird, wäre das auch fürs Klima und das Artensterben gut.
Die Technik ist schon quasi so weit.
Warum machen wir das dann nicht, so einen Plattform-Sozialismus?
So, hier kann man nun schön anschließen an Debattenbeiträge, die im Anschluss an die „enttabulisierte“ Phantasieentfaltung bzgl. postkapitalistischer Entwürfe schon entstanden sind. Da ist zum Beispiel dieser hier, von heute:
Richtig finde ich folgendes:
Die Wortmeldung des kleinen Kevin war ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht viel mehr als das: „Eigentlich ist nicht ganz klar, was Jungsozialist Kühnert eigentlich konkret will – und eben dies gereicht der Diskussion, dem öffentlichen Streit, der längst über dessen Initiatoren hinausgewachsen ist, zum Vorteil.“ Aber dann: „Auch die Überführung von Produktionsmitteln in kollektives Eigentum kann nur ein erster Schritt sein, der zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung einer gelingenden, emanzipatorischen Systemtransformation darstellt.“
Erstens: was ist denn eine gelingende, emanzipatorische Systemtransformation? Und zweitens: wie um Himmels Willen überführt man Produktionsmittel in kollektives Eigentum? Der Autor stellt dazu richtigerweise fest: „Die Arbeiterkontrolle über einzelne Betriebe (Arbeiterselbstverwaltung, Genossenschaften, etc.), die weiterhin auf den kapitalistischen Märkten bestehen müssten und denselben Zwängen wie kapitalistische Konkurrenten ausgesetzt sind, würde kaum etwas ändern. Die Formen kapitalistischer Vergesellschaftung – Markt, Geld, Staat – würden in ihrer inneren Widersprüchlichkeit bestehen bleiben, sodass es letztendlich egal ist, ob nun ein Kapitalist die Arbeiter ausbeutet oder ob sie sich gegenseitig in den Burnout treiben.“
Das Problem ist zwar nicht das Geld, der Markt oder der Staat, sondern einfach die Tatsache, dass ein Kapitaleigner, der mit seinem Sachkapital etwas produziert und seine Kunden nicht persönlich kennt, immer dem Risiko ausgesetzt ist, dass er für sein Produkt keine oder nicht genügend Abnehmer findet. Marx wusste das: das Kollektiv wird mit seinem kollektivierten Kapital zu seinem eigenen Kapitalisten. Und es würde auch zu seinem eigenen „Ausbeuter“ – woraus eigentlich eher folgt, dass der Begriff Ausbeuter sinnlos ist, als dass sich durch Kollektivierung an „Ausbeutung“ etwas ändern ließe. Die Clickworker zum Beispiel, sagt man, beuten sich selber aus, meint damit aber nur, dass sie Tag und Nacht schuften müssen, um als Kleingewerbetreibende im Kampf jeder gegen jeden überleben zu können. Sie sind ganz ihr eigener Herr, arbeiten mit ihrem eigenen „Kapital“, können sich auch zu Start-Ups „assoziieren“ – und bleiben meist trotzdem arme Schweine in einem brutalen Verdrängungswettbewerb. Der Begriff „Ausbeutung“ führt komplett auf die falsche Fährte, und im engeren Sinne der Arbeitswerttheorie von Marx ist er einfach falsch.
Darum ist dieser Satz ja vollkommen richtig: „Kollektivierung als Fokus der Debatte ist kontraproduktiv“. Kollektivierung eines Unternehmens, z. B. von BMW, ist absolut sinnlos, und von vorneherein auch unmöglich; auch die „Kollektivierung“ oder bessere Beteiligung der Arbeitnehmer an den Gewinnen ist die falsche Fährte, denn dafür sind die Tarifpartner zuständig, also die Gewerkschaften, die höhere Löhne durchsetzen müssten. Oder die Arbeitnehmer kaufen sich Aktien. Das wird Juso Kühnert aber nicht gemeint haben.
Wer kann der Macht des privaten Kapitals aber nun die rote Karte zeigen, wenn es dermaßen mächtig geworden ist, dass es sich Medien und Regierungen kaufen kann? Der Staat, wenn er seinerseits vom Souverän, dem Volk, zurückerobert worden ist, per Demokratie?
Der Autor meint: „Der Staat ist kein „Gegenspieler“ des Marktes, sondern als ein Produkt der historischen Durchsetzung des Kapitals dessen notwendiges Korrektiv, das in seiner Eigenschaft als „ideeller Gesamtkapitalist“ die gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen der Verwertung von Kapital herzustellen hat – notfalls mit blanker Gewalt. Und es sind gerade die historischen Krisen oder Kriegsphasen, in denen der Staat eine wichtige, ja zentrale Rolle in der Ökonomie spielte. Die Verstaatlichung stellte überdies immer wieder ein beliebtes Mittel für das Kapital dar, um unrentable Betriebe oder ganze Industriezweige abzustoßen und hierdurch die Kosten für deren Sanierung zu vergesellschaften.“
Das kann ja sein, und wenn das Volk nicht auspasst, und wenn der ganze privatwirtschaftlich organisierte Kapitalismus weiterhin seine Legitimation behält, ist das meist so. Das Kapital kauft sich Staaten bzw. staatliche Organe und Instanzen. Wer soll dass verhindern, außer dem Volk, dem Souverän?
Diese Beobachtung ist vollkommen richtig: „Die Autoindustrie ist längst im historischen Abstieg befindlich, sie dürfte angesichts der Klimakrise und der Ressourcenengpässe bei dem kaum gangbaren Umstieg auf die Elektromobilität in den kommenden Jahrzehnten (oder schon Jahren?) das Schicksal der Eisenbahngesellschaften ereilen. Diese Aktienunternehmen haben bekanntlich im 19. Jahrhundert das Schienennetz aufgebaut – das später sang- und klanglos, ohne dass auch nur ein Bourgeois sich über „Verstaatlichungen“ beklagte, gerade „kollektiviert“ wurde, weil die Kosten des Unterhalts dieser Verkehrsinfrastruktur den Herrn Kapitalisten doch zu hoch waren.“
Stimmt absolut. Nur: wieso konnten denn die Eisenbahnen problemlos als staatliche betrieben werden, über Jahrzehnte, während dies bei sonstigen Produkten des privaten Endkonsums eben nicht so war? Diese Frage stellt der Autor nicht. Dafür stellt er aber irgendwie hochrevolutionär klingende Forderungen auf: „Kollektivierung zielt nicht auf die „Entmachtung“ einer herrschenden Klasse, sondern auf die Erlangung der Kontrolle der Gesellschaft über ihre sozioökonomische Reproduktion.“ Ja – wie denn bitte?
Wer soll darüber entscheiden, „ob es BMW überhaupt noch brauche“, wie es SPON formulierte? Eigentlich wären das die Kunden, die sagen, ich brauche keinen BMW. Was dann? Wer wäre betroffen – natürlich die Beschäftigten bei BMW. Wie sollte das anders sein? Der Autor meint: „Dies wäre natürlich nur in einer postkapitalistischen Gesellschaft ohne Widerstand der Betroffenen möglich, wo das eigene Überleben nicht mehr von der Lohnarbeit abhängig ist, mit der die Verwertung des Werts befeuert wird. Sobald die Reproduktion der Gesellschaft nicht am Tropf der uferlosen Akkumulation von Kapital hängt, stellt die Abwicklung der Produktion bayerischer Spritfresser tatsächlich keine soziale Tragödie für die Betroffenen mehr dar, sondern einen Akt der Befreiung von der stupiden Mühsal fetischistisch entfremdeter Arbeit.“
Schön gesagt, aber wie denn bitteschön dies ereichen? Was ist das, Herr Autor, was so wichtig ist, dass es „die conditio sin qua non des menschlichen Zivilisationsprozesses bildet“, nämlich dieses Zaubermittel: „Die bewusste Gestaltung ihres Reproduktionsprozesses durch alle Gesellschaftsmitglieder, die hierzu geneigt wären“? Sind z. B. Clickworker bewusste Gestalter ihres Reproduktionsprozesses? Gibt es irgendwo auf der Welt „bewusste Gestalter ihres Reproduktionsprozesses“?
Was braucht der Mensch für seinen Reproduktionsprozess? Eine Menge Dinge, mit denen er sich in seinem Leben umgibt, und die ihm helfen bei der Gestaltung des Reproduktionsprozesses. Diese Dinge hervorzubringen und für die Menschen erschwinglich zu machen, hat der Kapitalismus eine Menge zu beigetragen. Wie – indem er die Werkzeuge, die „Mittel zur Bearbeitung des Naturstoffes“ verbessert und erfolgreich zum Einsatz gebracht hat. Diese Mittel sind die „große Industrie“, die „Maschinerie“, die aus Sicht des kleinen rechnenden Buchhalters Kapital sind. Diese Maschinen leisten Arbeit, die sonst der Mensch leisten müsste. Nur so ist „Emanzipation“ vom Elend der notwendigen Reproduktionarbeit möglich.
Wenn dieser Reichtum an Dingen aber nun geschaffen ist, kommt es darauf an, von Wachstum und Wettbewerb umzuschalten auf Statik und Arbeit außerhalb der unmittelbar notwendigen Reproduktion. Dazu nutzt man am besten die neu entstandenen Reproduktionsmittel: intelligente Maschinerie, die Menschen ihre Konsumwünsche erfüllen. Dadurch werden die von den Maschinen erstellten Produkte billig, weil sie mit immer weniger Arbeit erschwinglich sind. Mehr Emanzipation braucht man nicht.
Nur dürfen die automatischen Reproduktionssysteme nicht dem Zweck unterworfen sein, Kapitalrendite zu erzeugen. Wenn sollen sie dann also gehören? Am besten: der Gemeinschaft derer, um deren Produkte es geht, nämlich der Gemeinschaft der Konsumenten. Weil die sich kaum per Plattform und Facebook-Gruppe zusammenfinden werden, wird es wohl eine überprivate Instanz sein müssen, die deren Interessen wahrnimmt. Diese Instanz muss stark genug sein, sich gegen die Sonderinteressen des privaten Kapitals zu behaupten. Da dürften zuerst einmal nur staatliche Instanzen infrage kommen. Natürlich können die sich dann auch international vernetzen – und schon kommt die Internationale in Sicht.
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht! Marx wird die Debatte, kurz nach seinem 201. Geburtstag, mit Interesse verfolgen.