Paul Mason hat nun ein Buch geschrieben, das in die Zeit zu passen scheint. Jedenfalls erheblich besser als sein „Postkapitalismus“ (2016 in der deutschen Übersetzung erschienen). Bisher sind seine Kritiken handzahm und eher positiv, und der ganze Zeitgeist scheint im Moment ja nach links zu fliegen. Ein Youtuber, der „die CDU zerstören“ will, erhält Millionen Views in drei Tagen und findet Eingang in die Spalten der etablierten Medienwelt, und nach einer Gallup-Umfrage aus April würden 43 Prozent der Amerikaner „irgendeine Form von Sozialismus“ für eine gute Sache halten.
Paul Mason schreibt nun, er glaubt „dass wir kurz davor stehen, etwas zu verwirklichen, das Marx vorschwebte: eine von der Technologie befähigte Gesellschaft, in der die meisten Dinge, die wir konsumieren, kostenlos sein werden …“. Seine Utopie sei eine, die das abendländische Denken seit Aristoteles inspiriert: eine menschliche Gemeinschaft, in der es keine Armut gibt (…), in der jedermann ein auskömmliches Leben führt und genug Freizeit hat, um sein menschliches Potenzial auszuschöpfen, und in der die Arbeit von Maschinen geleistet wird. Das gute Leben.“
Und das bedeute eben bzw. habe seine Grundlage und Voraussetzung darin, „dass die grundlegenden Dinge, die wir zum Leben brauchen – Nahrungsmittel, Energie, Transport, Wohnung, medizinische Versorgung und Bildung –, im Überfluss vorhanden sein werden…“.
Ich selber komme zu recht ähnlichen Resultaten. Allerdings sind die Dinge komplizierter als Mason sie darstellt. Es ist an sich positiv einzuschätzen, dass er mit diesen Ideen so viel Anklang findet, und er bringt die Debatte sozusagen in die richtige Spur. Aber er macht sich ein bischen zu einfach, weil er die schwierigen Fragen überspringt.
Zum Beispiel: Was heißt denn Überfluss? Heißt Überfluss nicht zwangsläufig auch Verschwendung? Können wir uns Verschwendung aber leisten? Was sagt Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Generation dazu? Oder würde es nicht eigentlich um „grad haargenau genug“ gehen? Also genau dem Bedarf entsprechende Bedürfnisbefriedigung? Wie könnte das aber erreicht werden? Das müssten wir eigentlich genau wissen.
Von Überfluss hat schon Marx geträumt und hoffte den durch eine totalitäre sozialistische Planwirtschaft zu erreichen. Das hat offenbar und nachweislich nicht geklappt. Jahrzehnte später hoffte Ernest Mandel das durch „Parks von automatischen Maschinen“ zu erreichen. Heute verfügen wir über riesige Parks von automatischen Maschinen, leben aber nicht im „Überfluss“ im Sinne von Wohlstand für die Massen, mit kostenlosen Grundgütern und Dienstleistungen, sondern mit exzessivem Reichtum (an Geld) bei einigen Wenigen, und Not, Mangel und Dürftigkeit bei einigen Vielen, manchmal in richtig bitterer Armut, wie sich nun immer öfter zeigt.
Es geht also nicht um Überfluss und Verschwendung, sondern darum, grundlegende Dinge zu möglichst minimalen Kosten verfügbar zu machen. Aber wie man es schaffen kann, genau die richtigen (gewünschten) Güter in den richtigen Mengen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen – das wird nicht klar genug bei Paul Mason. Klar ist, dass Marktallokation, also die Zuteilung über Märkte das nicht schaffen kann. Wie aber dann? Genau da liegt der Hase im Pfeffer.
Es gibt etwas vage Ideen, die den Geschmack des in linken Kreisen herrschenden Diskurses treffen: „Grundeinkommen, Kreislaufwirtschaft, Plattformkooperativen und Umwandlung der Informationen in ein öffentliches Gut.“
Plattformkooperativen: was ist das? Besitzen die Kooperativen Produktionsmittel, wie groß sind sie, über welche Mittel verfügen sie, wie leistungsfähig sind sie, und wer arbeitet in ihnen – Menschen oder Maschinen? Wenn es Menschen sind, die mit Maschinen zusammen arbeiten, können die Kooperativen keine kostenlosen Güter produzieren – denn Menschen können eben nicht umsonst arbeiten!
Um Dinge herzustellen, die satt machen, die man sich anziehen kann, oder die man sich in die Küche oder ins Wohnzimmer stellen kann, Kühlschrank, Herd oder Küchenmöbel, oder Regal, Tisch und Sitzmöbel, braucht man sehr leistungsfähige Technologie, und dies vor allem dann, wenn die hergestellten Dinge (fast) kostenlos sein sollen. Dann müssen die Maschinen nämlich (fast) alles alleine machen. Wem soll diese teure leistungsfähige Technologie aber nun gehören? Keine Antwort von Mason.
Und Grundeinkommen? Um Geld als Grundeinkommen an Menschen verteilen zu können, müssen leistungsfähige Maschinen Geld „verdient“ haben. Das heißt: jemand, dem die Maschinen gehören, hat damit etwas produziert, und dies dann zu einem Preis weit über den Herstellungskosten verkauft, also: mit Gewinn. Diese Dinge waren für ihre Käufer also keineswegs kostenlos. Um was soll es also nun gehen: Grundeinkommen oder kostenlose Güter?
Marx hat jedenfalls sicher nicht vom Grundeinkommen geträumt, dazu war Marx zu sehr Ökonom. Marx hat tatsächlich von kostenlosen Gütern geträumt. Aber wie sollen die kostenlos werden?
Klar ist: Damit jeder das bekommt was er konsumieren möchte, zur rechten Zeit und in der richtigen Menge, und das auch noch umsonst, muss die Technologie, die so etwas möglich macht, schon sehr leistungsfähig sein, extrem leistungsfähig. Marx und auch Ernest Mandel 100 Jahre später konnten sich so etwas noch nicht vorstellen.
Aber das erstaunliche ist ja: genau diese hochleistungsfähige Technologie wächst ja gerade heran. Marx hätte sofort gewusst was das bedeutet.
Heute ist es leider so, dass es noch immer nicht verstanden wird. Wer heute von „einer Art Sozialismus“ träumt oder auch von „Wellbeing Ökonomie“, träumt entweder von der guten alten sozialen Marktwirtschaft plus CO2 Steuer (was besser wäre als das was wir haben), oder von „Kollektivierung“, „Demokratisierung der Produktion“ und „Mitbestimmung bei Produktionsentscheidungen“, oder sogar von höheren Löhnen und Gewinnbeteiligung, was die kostenlosen Produkte vollends unmöglich machen würde. Und Mitbestimmung bei Produktionsentscheidungen dürfte bei VW, Siemens, der Commerzbank und den restlichen DAX Unternehmen auch schwer vorstellbar sein.
Wie kommt man also zu einer nachkapitalistischen Gesellschaft, mit kostenlosen Produkten und einem guten Leben?
Nur so, mit dieser hochleistungsfähigen Technologie, die genau das realisierbar werden lässt, für jeden genau das richtige Produkt in der richtigen Menge zur richtigen Zeit herzustellen. Und diese Technologie muss „die Gesellschaft“ – die dann gewissermaßen die Gesellschaft der Konsumenten ist – dann „installieren“ und zum Einsatz bringen, was natürlich nicht umsonst ist. Aber sie kann sie dann selbst für ihre eigenen Zwecke nutzen. Dann gibt es keine Gewinne in Geld, sondern nur die richtigen Produkte, für jeden der sie benötigt, und das sogar annähernd umsonst, wenn die Technologie das schafft. Konsument und Produzent müssen sozusagen aus der gleichen Tasche in die gleiche Tasche wirtschaften. Das ist dann aber kein Wirtschaften mehr, sondern – Nutzung von Technologie, Automatennutzung, grad wie bei einer privaten Waschmaschine. Bei einem Elektrizitätswerk ist das kein Problem – nur mit den unendlich vielfältig verschiedenen Konsumgütern ist das ein Problem.
Aber wenn man genau hinschaut: das ist ein Problem gewesen:. Genau das schafft die moderne Technologie nun ja eben immer mehr. Darum ist die Technologie der wahre Revolutionär, viel mehr als Lenin und Trotzki das hätten jemals sein können.
Auch das wusste Marx: die Technologien machen die Epoche. Dies und Vieles mehr steht in meinem Buch „Marx‘ Reise ins digitale Athen“.